Die Operation
hast du ja immer geschulte Labortechniker gehabt. Ich habe das alles während des Studiums von der Pike auf gelernt.«
»Das nehme ich an«, sagte Daniel, ohne den Blick zu heben.
Stephanie zuckte mit den Schultern und blickte wieder durch das Okular des Mikroskops. »Jetzt nähere ich mich mit Hilfe des Mikromanipulators der fluoreszierenden DNA«, erklärte sie. Die Spitze der Pipette schob sich auf ihr Ziel zu. Als Stephanie den Unterdruck ein winziges bisschen erhöhte, verschwand die DNA im Inneren der Pipette wie in einem Miniaturstaubsauger.
»Das kann ich auch nicht besonders gut«, sagte Daniel. »Ich glaube, ich sauge immer zu viel Zytoplasma auf.«
»Man darf nur die DNA aufsaugen, das ist wichtig«, erwiderte Stephanie.
»Jedes Mal, wenn ich dabei zuschaue, wundere ich mich noch ein bisschen mehr darüber, dass das Ganze überhaupt funktioniert«, sagte Daniel. »Ich stelle mir die submikroskopische innere Struktur einer lebenden Zelle ähnlich vor wie ein Minitreibhaus. Wie kann es sein, dass wir den Zellkern mitsamt der Wurzel ausreißen können, ihn im Prinzip durch einen anderen Zellkern einer ausgewachsenen, ausdifferenzierten Zelle ersetzen, und die Zelle dann weiterwächst? Das übersteigt doch die menschliche Vorstellungskraft.«
»Und nicht nur, dass die Zelle weiterwächst, gleichzeitig wird auch der ausgewachsene Zellkern, den wir einpflanzen, wieder jung.«
»Das kommt noch dazu«, pflichtete Daniel bei. »Ganz ehrlich, so eine Zellkernübertragung übersteigt jede Vernunft.«
»Besser hätte ich es auch nicht ausdrücken können«, stimmte Stephanie zu. »Für mich ist die unglaubliche Tatsache, dass es funktioniert, ein Beweis für die Mitwirkung Gottes an dem ganzen Prozess, und das erschüttert die Fundamente meiner agnostischen Grundhaltung noch stärker als das, was wir über das Turiner Grabtuch erfahren haben.« Während sie das sagte, dirigierte sie eine dritte Pipette in das Sichtfeld des Mikroskops. In ihrem Schaft befand sich ein einzelner Fibroblast aus Ashley Butlers Fibroblasten-Kultur - eine Zelle, deren Kern Daniel sorgfältigst verändert hatte. Zunächst hatte er mit Hilfe des HTSR-Verfahrens die Gene ersetzt, die für die Erkrankung des Senators verantwortlich waren, und hatte anschließend auf Stephanies Vorschlag hin noch ein zusätzliches Gen eingefügt, das als spezielles Oberflächenantigen dienen sollte. Die DNA aus dem Zellkern dieses Fibroblasten sollte die DNA ersetzen, die Stephanie aus der Eizelle entfernt hatte.
Während Daniel Stephanies kunstvollen Handgriffen zusah, dachte er bewundernd daran zurück, was sie im Verlauf der anderthalb Wochen, die seit dem Überfall durch den Muskelprotz aus Boston vergangen waren, alles erreicht hatten. Seine körperlichen Wunden waren fast alle verheilt und nur noch Erinnerung, abgesehen von einer gewissen Sensibilität im Bereich seines rechten Wangenknochens und der gelbgrünlichen Färbung des sich auflösenden Blutergusses. Doch leider hatte Daniel immer noch mit den psychischen Folgen des Angriffs zu kämpfen. Das Bild des gewaltigen Schädels seines muskelbepackten Peinigers, die kleinen Ohren, ihre knollige Form, das alles hatte sich in seine Netzhaut eingebrannt. Das Schlimmste aber waren das schiefe Lächeln und die grausamen, wachsamen Augen des Mannes. Noch elf Tage später litt Daniel an regelmäßig wiederkehrenden Alpträumen, hervorgerufen durch dieses furchtbare Gesicht und das damit verbundene Gefühl der vollkommenen Wehrlosigkeit und Verwundbarkeit.
Tagsüber erging es Daniel deutlich besser als im Schlaf. Er und Stephanie waren, wie sie es unmittelbar nach den Vorfällen besprochen hatten, unzertrennlich geworden wie siamesische Zwillinge und verließen das Hotel nur, um zur Wingate Clinic zu fahren. Das war auch nicht weiter schwierig, da sie sowieso jeden Tag von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang im Labor verbrachten. Megan Finnigan war ihnen eine große Hilfe gewesen und hatte ihnen neben ihrem Laborarbeitsplatz auch ein eigenes kleines Büro zur Verfügung gestellt. Dass sie nun genügend Platz hatten, um ihre Papiere und Diagramme auszubreiten, war ein wahrer Segen für ihre Arbeit. Selbst Paul Saunders hatte sich als hilfreich erwiesen und entsprechend seiner Zusage zwölf Stunden nach ihrer Anfrage zehn frische, menschliche Eizellen präsentiert.
Zu Anfang hatte es eine angenehme Arbeitsteilung zwischen Daniel und Stephanie gegeben. Ihr Job bestand vor allem darin, mit den
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