Die Operation
weiter nach draußen. Angesichts des Mülls und der schmutzig grauen Schneewehen entlang des Rollfeldes wirkte New York nun nicht mehr wie ein Juwel. Passend zu der düsteren, trostlosen Szenerie grübelte sie über ihre widersprüchlichen Empfindungen und ihre Schuldgefühle hinsichtlich Ashleys Vorhaben nach. Einerseits machte ihr der experimentelle Charakter der geplanten Behandlung zu Recht Sorge, andererseits bestand aber durchaus die Möglichkeit, dass sie erfolgreich war. Nach der Diagnose hatte sie zunächst das angebrachte Mitleid empfunden, aber im Lauf des vergangenen Jahres hatte sie begonnen, darin auch ihre eigene Chance zu sehen. Und jetzt kämpfte die Angst vor einem schlechten Ausgang mit der Angst vor einem guten Ausgang, auch wenn sie sich das nicht recht eingestehen konnte. Irgendwie fühlte sie sich wie Brutus, und Ashley war Caesar.
Das Umsteigen vom Flugzeug in die Limousine, die Carol organisiert hatte, klappte reibungslos. Aber eine Dreiviertelstunde später standen sie hoffnungslos eingekeilt im Stau auf dem Franklin-D.-Roosevelt-Drive, wo der Verkehr zum Stillstand gekommen war, seitdem sie darüber hinweggeflogen waren.
Ashley war verärgert angesichts der Verzögerung, warf seine Papiere beiseite und schaltete die Leselampe aus. Im Innenraum des Chevrolet Sedan herrschte wieder Dunkelheit. »Wir verpassen unsere Chance«, knurrte er ohne die Spur eines Akzents.
»Es tut mir Leid«, sagte Carol, als wäre es ihre Schuld.
Nach fünf Minuten absoluten Stillstands und einer Serie von Kraftausdrücken aus Ashleys Mund geriet der Verkehr wie durch ein Wunder wieder in Bewegung. »Dem Herrn im Himmel sei Dank auch für die kleinen Gaben«, ließ Ashley sich vernehmen.
Der Fahrer nahm die Abfahrt zur 96. Straße und gelangte von dort geschickt über Schleichwege in die Innenstadt. So konnte er den Senator und seine Assistentin vier Minuten vor dem Termin bei der Residenz des Erzbischofs an der Kreuzung von Madison Avenue und 50. Straße absetzen. Er wurde angewiesen, um den Block zu fahren, da sie innerhalb der nächsten Stunde wieder zurück zum Flughafen wollten.
Carol war noch nie hier gewesen. Sie betrachtete das unauffällige, dreistöckige, mit grauen Schieferschindeln verkleidete Gebäude, das sich im Schatten der Wolkenkratzer duckte. Es ragte direkt aus dem Bürgersteig empor, ohne dass ein Grasstreifen seine Strenge abgemildert hätte. Ein paar prosaische Fensterklimaanlagen verschandelten die Fassade ebenso wie die massiven Eisengitter im Erdgeschoss, die eher an ein kleines Gefängnis als an eine Residenz erinnerten. Einzig ein Stück belgischer Spitze hinter einem der Fenster lockerte diesen Eindruck etwas auf.
Ashley stieg die steinerne Treppe empor und zog an der polierten Bronzeklingel. Sie mussten nicht lange warten. Ein groß gewachsener, hagerer Priester mit einer auffallend römischen Nase und kurz geschorenem rotem Haar öffnete ihnen die schwere Tür. Er trug einen schwarzen Priesteranzug mit weißem Priesterkragen.
»Guten Abend, Herr Senator.«
»Ihnen ebenso, Father Maloney«, sagte Ashley beim Eintreten. »Ich hoffe, wir kommen zur rechten Zeit.«
»Absolut«, gab Father Maloney zur Antwort. »Ich habe den Auftrag, Sie und Ihre Assistentin in das private Studierzimmer Seiner Eminenz zu geleiten. Er wird sich sofort zu Ihnen gesellen.«
Das Studierzimmer war ein spartanisch möblierter Raum im ersten Stock. Der einzige Schmuck bestand in einem offiziellen gerahmten Foto von Papst Johannes Paul II. sowie einer zierlichen Statue der Heiligen Mutter Gottes aus reinstem, weißem Carraramarmor. Kein Teppich lag auf dem Holzfußboden, sodass Carols Absätze bei jedem Schritt auf der polierten Oberfläche deutlich zu hören waren. Father Maloney zog sich leise zurück und machte die Tür hinter sich zu.
»Ziemlich schmucklos«, bemerkte Carol. Abgesehen von einer kleinen, betagten Ledercouch, einem dazu passenden Ledersessel, einem Gebetpult und einem bescheidenen Schreibtisch mit einem dazugehörigen Holzstuhl mit steiler Lehne gab es keine Möbel.
»Der Kardinal möchte seine Besucher gerne denken lassen, dass er an materiellen Dingen kein Interesse hat«, sagte Ashley, während er sich auf dem rissigen Sessel niederließ. »Aber das weiß ich besser.«
Carol saß steif auf dem Rand der Couch, die Beine seitlich angezogen. Ashley hingegen hatte sich entspannt zurückgelehnt, als wäre er zu Besuch bei Verwandten. Er schlug ein Bein über das andere und
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