Die Operation
Daniel. »Ich habe angefangen, in deinen Büchern über das Turiner Grabtuch herumzublättern, besonders in dem von Ian Wilson. Ich kann schon verstehen, wieso dich das so gepackt hat. Das ist eine faszinierende Lektüre.«
»Du musst doch völlig erschöpft sein.«
»Bin ich nicht«, sagte Daniel. »Das, was ich über das Grabtuch gelesen habe, hat mir irgendwie neue Energie gegeben. Ich bin dadurch in Bezug auf die Behandlung Butlers und die Verwendung der DNA-Fragmente vom Grabtuch noch zuversichtlicher geworden. Ich habe mir sogar überlegt, dass wir, wenn wir mit Butler fertig sind, vielleicht noch einen Prominenten außerhalb der USA mit derselben DNA behandeln sollten, jemanden, der gegen ein bisschen Publicity nichts einzuwenden hat. Wenn diese Geschichte dann in die Medien kommt, dann kann es kein Politiker mehr wagen, sich dagegenzustellen, und noch besser, die FDA wäre gezwungen, ihr Genehmigungsverfahren für die Behandlungsmethode zu ändern.«
»Hoh, langsam«, warnte Stephanie. »Lass uns nicht zu weit in die Zukunft schauen. Wir müssen uns zuallererst einmal auf Butler konzentrieren. Es ist doch noch gar nicht gesagt, dass wir ihn überhaupt heilen können.«
»Du findest also, dass die Behandlung eines anderen Prominenten keine gute Idee ist?«
»Ich muss erst darüber nachdenken, bevor ich dazu etwas Vernünftiges sagen kann.« Stephanie versuchte, diplomatisch zu reagieren. »Im Augenblick bin ich noch ein bisschen benebelt. Ich muss jetzt zur Toilette und dann möchte ich frühstücken. Ich habe wahnsinnigen Hunger. Und wenn mein Verstand auf vollen Touren läuft, dann möchte ich hören, was du über das Grabtuch gelesen hast und vor allem, ob du schon eine Theorie hast, wie der Abdruck entstanden sein könnte.«
Eine knappe Stunde später landeten sie auf dem Aeroporto Fiumicino in Rom. Zusammen mit zahlreichen Passagieren anderer internationaler Flüge schoben sie sich durch die Passkontrolle und gelangten schließlich zu dem Ausgang für ihren Anschlussflug nach Turin. An einer Kaffeebar in der Nähe gönnte Daniel sich einen original italienischen Espresso, den er wie die Einheimischen in einem Zug hinunterstürzte. Auf diesem Flug gab es keine Magnifica-Klasse, und so fanden sie sich nach dem Betreten des Flugzeugs in einer engen Kabine voller Geschäftsleute wieder. Sie saßen ungefähr in der Mitte des Flugzeugs, Stephanie auf dem Mittelsitz und Daniel am Gang. »Gemütlich«, bemerkte Daniel. Dank seiner Größe von ein Meter vierundachtzig wurden seine Knie gegen den Vordersitz gequetscht. »Und, wie fühlst du dich jetzt? Bist du müde?«
»Nein, schon gar nicht nach diesem Koffeinschock.«
»Dann lass uns über das Grabtuch sprechen! Ich will wirklich wissen, was du davon hältst.« Die Warteschlange vor der Toilette auf dem Flug von Boston nach Rom war so lang gewesen, dass sie vor der Landung keine Zeit mehr gehabt hatten, darüber zu sprechen.
»Tja, um es gleich zu sagen: Ich habe keine Theorie, was die Entstehung dieses Abdrucks angeht. Es ist auf jeden Fall ein faszinierendes Mysterium, das gebe ich gerne zu. Besonders beeindruckt hat mich Ian Wilsons poetische Beschreibung des Tuchs als ›Fotonegativ, das wie in einer Art Zeitkapsel im Dornröschenschlaf gelegen und auf die Erfindung der Fotografie gewartet hat‹. Aber deshalb ist der Abdruck noch lange kein Beweis für die Auferstehung, so wie du und Wilson das angedeutet habt. Das wäre eine falsche Logik. Du kannst nicht einen unbekannten und sämtlicher Erfahrung zuwiderlaufenden Vorgang der Dematerialisation postulieren, um damit ein unbekanntes Phänomen zu erklären.«
»Und was ist mit den schwarzen Löchern?«
»Was meinst du damit?«
»Schwarze Löcher wurden postuliert, um unbekannte Phänomene zu erklären, und schwarze Löcher laufen mit Sicherheit unseren naturwissenschaftlichen Erfahrungen zuwider.«
Eine Zeit lang herrschte Stille, abgesehen von dem gedämpften Röhren der Düsentriebwerke, dem Rascheln der Morgenzeitungen und dem Klicken der Laptop-Tastaturen.
»Da hast du Recht«, gestand Daniel schließlich zu.
»Weiter im Text! Was hat dich noch angesprochen?«
»Oh, noch etliches. Zum Beispiel das Ergebnis der Reflektionsspektroskopie, die Schmutz auf den Fußabdrücken zum Vorschein gebracht hat. Zuerst habe ich das für eine völlig belanglose Entdeckung gehalten, bis ich gelesen habe, dass einige der Körner durch eine optische Kristallographie als Travertin-Aragonit identifiziert
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