Die Opferstaette
Landspitze nichts Neues außer dem Clubhaus bemerkt.«
»Genau das war das Argument der HFH. Dass man die Ferienhäuser nicht sehen würde.«
»HFH?«
»Head for Heights. Der Name der Bauträgerfirma, aber auch eine Art Slogan für das Projekt. Sie behaupteten, als kleine, exklusive Anlage, die in einer Senke in den Hügeln versteckt liegt, würde das Ganze nicht stören. Aber natürlich sieht man es, wenn man zur Landspitze hinaufgeht. Naturschützer haben für uns argumentiert, auch wenn es sich so einfüge, dass man buchstäblich darüber stolpere, würde es die Landschaft doch für alle Zeiten verändern – mit der unberührten Natur hier oben wäre es vorbei. Dann haben wir die Unterstützung von Archäologen für unsere Sache bekommen – eine vorläufige Erkundung hatte ergeben, dass eine frühmittelalterliche Klostereinfriedung unter der Erde existierte. Die noch nirgendwo verzeichnet war. Damit war die Sache aus unserer Sicht erledigt. Eine Erhaltung war zwingend vorgeschrieben. Aber wir hatten nicht mit der Skrupellosigkeit der Projektentwickler gerechnet. Die Reste wurden über Nacht vernichtet – vorsätzlich.«
»Wie bitte? Das ist ja unglaublich.«
»Mit Bulldozern vom Angesicht der Erde getilgt … Natürlich war den Bauträgern nichts nachzuweisen. Man schob es auf Vandalismus. Und was mich wirklich wütend machte dabei, war, dass ich es hätte verhindern können.«
Die Kellnerin kam mit unserem Wein. Ich gab ihr einen Zwanzig-Euro-Schein, und auf dem Rückweg zur Theke hielt sie inne und sah aus einem der Fenster.
Ich blickte ebenfalls hinaus und entdeckte einen schwarzen Jeep Cherokee auf der anderen Straßenseite stehen. Er zog einen Bootsanhänger mit einem rotblauen Festrumpfschlauchboot, kurz RIB genannt, von Rigid Inflatable Boat. Ein weißhaariger Mann stieg aus dem Jeep, und ich wusste, dass ich ihn schon einmal gesehen hatte. Ein jüngerer Mann in einem roten
T-Shirt und schwarzen Jeans schloss sich ihm an, und sie kamen ins Pub. Der Jüngere verabschiedete sich sofort in Richtung Toilette, während der Ältere an der Bar stehen blieb. Die Kellnerin war mit meinem Wechselgeld zurückgekommen und grüßte ihn von unserem Tisch aus. Als er sich zu uns drehte, um den Gruß zu erwidern, dämmerte mir, wer er war – Theo Mahon. Wir hatten uns im Jahr zuvor getroffen, als ich an einem Seminar über die Archäologie und Schifffahrtsgeschichte des Flusses Boyne teilnahm. Die Kellnerin ging wieder hinter die Theke und plauderte mit ihm, während sie zwei Gläser Stout zapfte. Mahon sah ein paar Mal zu mir herüber, und als er sein Pint bekommen hatte, kam er an unseren Tisch.
»Kennen wir uns?«, sagte er.
»Sie haben letztes Jahr um diese Zeit einen Vortrag auf einem Seminar in Drogheda gehalten. Wir haben uns nachher ein wenig unterhalten. Ich bin Illaun Bowe.«
»Ach ja. Aus Castleboyne, richtig?«
Ich nickte. »Das ist eine Freundin von mir. Kim Tyrell.«
»Theo Mahon. Freut mich, Sie kennenzulernen.«
Sie schüttelten sich die Hand.
Der andere Mann kam ins Lokal zurück, und Theo winkte ihn zu uns. »Dürfen wir Ihnen Gesellschaft leisten?«
Mahons Begleiter holte sein Bier ab, und die beiden nahmen auf den Stühlen gegenüber unserer Bank Platz.
»Das ist Senan Costello aus Kilkee«, stellte Mahon vor. »Er begleitet uns auf diesem Abschnitt unserer Tour. Ortskenntnisse sind unschätzbar.« Er schlug seinem Begleiter auf den Rücken. »Und auf unseren Senan hier kann man sich meist verlassen. Jedenfalls solange er nicht bekifft ist.«
Costello grinste schüchtern. Er hatte schwarzes, strubbliges Haar und einen dichten, kurzen Bart. Seine Zähne waren wie weit auseinandergesetzte Scrabble-Plättchen.
»Was genau machen Sie?«, fragte Kim.
»Wir bereiten einen Bericht über den Zustand der Schiffswracks an der Küste von Clare vor«, sagte Mahon. »Er beruht auf einer Erkundung des Meeresbodens, die vor ein paar Jahren durchgeführt wurde. Wir tauchen zu jedem Wrack hinab, das dabei entdeckt wurde, damit wir seinen Zustand aus nächster Nähe einschätzen können.«
Kim sah mich an, ob ich eine Frage stellen wollte. Als ich es nicht tat, stellte sie selbst eine. »Holen Sie auch Funde nach oben?«
Mahon schüttelte den Kopf. »Nein. Wenn man Artefakte vom Meeresgrund entfernt, stellen sich alle möglichen Probleme ein. Holz zerfällt, wenn es austrocknet. Eisen beginnt sich sofort aufzulösen, wenn es an die Luft kommt.«
»Was eine Konservierung schwierig macht«,
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