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Die Opferstaette

Die Opferstaette

Titel: Die Opferstaette Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Dunne
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festzuhalten, und wenn sie es versuchen, nehme ich mir einen Anwalt.«
    »Weiß deine Mutter, was los ist?«
    »Nein, und ich will nicht, dass sie es erfährt. Sie rechnet in Kürze mit mir, aber wenn ich jetzt anrufe, dass ich nicht komme, befürchtet sie das Schlimmste.«
    »Wie wäre es, wenn ich bei ihr vorbeischaue und sage, wir
hätten telefoniert, aber dann war dein Akku leer – gerade als du mir erzählt hast, du würdest mit einem Mann, den du kennengelernt hast, zum Essen gehen. Das wird sie freuen. Und ich könnte noch andeuten, dass du eventuell länger bleibst.«
    »Würdest du das tun? Normalerweise könnte ich ihr selbst so ein kleines Märchen auftischen, aber im Moment fühle ich mich dem nicht gewachsen. Und apropos Abendessen – falls du noch nicht gegessen hast, wird eine Kasserolle auf dich warten.«
    »Von deiner Mutter? Lecker. Dann schaue ich auf jeden Fall vorbei.«
    Fran tat, was sie konnte, um mich aufzuheitern. Aber ich fühlte mich mehr angeekelt als niedergeschlagen durch das, was Kim zugestoßen war. Es erschien mir besonders sadistisch, dass jemand, dessen Kunst so fein und zerbrechlich war, auf so brutale Weise ums Leben gebracht worden war.
    Fran und ich verabschiedeten uns, und ich lag weiter auf dem Bett und versuchte, die Szene hinter Kims Häuschen aus meinem Kopf zu verbannen.
    Nach einer Weile war mir klar, dass ich einen Ortswechsel brauchte, und ich brach zu einem Spaziergang am Strand auf. Es war schon halb Ebbe, was mich daran erinnerte, dass ich in etwa drei Stunden eigentlich mit Senan Costello tauchen wollte. Es war das Letzte, wonach mir der Sinn stand, und ich würde es absagen müssen, aber im Augenblick wollte ich mit niemandem sprechen.
    Ich hatte schon ein Stück am Strand zurückgelegt und sah gelegentlich aufs Meer im Westen hinaus, wo die Sonne hinter ausgedehnten Wolken unterging; es war ein Effekt, als würde man frische Lava durch Ritzen in einer Vulkanlandschaft betrachten.
    Das Meer unterhalb des Lavastroms war grau, seine Oberfläche
wurde unaufhörlich von kleinen Wellen getüpfelt. Es wirkte eher wie ein Stück Stoff als wie eine Flüssigkeit. Und hier auf Meereshöhe am Strand war die Illusion, es sei nur Oberfläche und besitze keine Tiefe, umso stärker. Ich konnte mir nur schwer vorstellen, dass der Festlandsockel darunter immer weiter abfiel, bis in Tiefen, die erst in jüngster Zeit erforscht wurden.
    Kein Wunder, dass es noch in der Kindheit meines Vaters merkwürdige Vorstellungen davon gegeben hatte, wie sich die See in solchen Tiefen verhielt. Da man wusste, dass das Gewicht des Wassers darüber unvorstellbar hoch wurde, hatte sich die Überzeugung entwickelt, auch die Dichte des Wassers müsse zunehmen, und alles, was ins Meer fiel, würde auf einem Niveau schweben, das der eigenen Dichte entsprach, und könne nicht tiefer sinken. Und so stellten sich die Menschen eine unterseeische Welt vor, in der alle möglichen Objekte für alle Zeit auf dem für sie bestimmten Level schwebten: hölzerne Galeeren, menschliche Skelette, Kanonen, spanische Dublonen. Das hatte Vater mir und meinem Bruder eines Abends erzählt, als wir genau an diesem Strand im Mondlicht spazieren gegangen waren. Aber er hatte so getan, als wäre es wahr. Er brachte uns gern zum Staunen.
    Und doch war die Wahrheit nicht weniger staunenswert – und ähnelte merkwürdigerweise sogar diesem Gedankengang, wie wir später herausfanden: dass nämlich die Meerestiefen von seltsamen Lebewesen bevölkert wurden, die jeweils an das Leben in einer bestimmten Tiefe angepasst und mit den nötigen Mitteln dazu ausgestattet waren, selbst an ein Leben in ewiger Finsternis. Wie die Angelrute und der phosphoreszierende Köder des Anglerfischs, mit denen er unvorsichtige Beute in seinen wartenden Rachen lockte.
    Ein Tier von einer sehr viel vertrauteren Art kam den Strand
entlanggehüpft – ein Labrador, der ausgelassen herumtollte, die Flut anbellte und Wattvögel aufscheuchte, die nach Futter stöberten. Er schien allein unterwegs zu sein – von einem Besitzer war nirgendwo etwas zu sehen -, und sobald er mich bemerkte, ließ er sein Spiel sein und kam zu mir. Ich streckte die Hand aus, und er stieß sie mit dem Kopf an, damit ich ihn streichelte. Ich kniete nieder, kraulte ihn hinter den Ohren und redete gleichzeitig mit ihm. Er setzte sich in der für Hunde typischen Art, Entscheidungen zu treffen, aufrecht neben mich und blickte aufs Meer hinaus – mein neuer Gefährte. Ich legte ihm

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