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Die Opferstaette

Die Opferstaette

Titel: Die Opferstaette Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Dunne
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gewütet hatte, aber von einigen der anderen Katastrophen, die sie begleiteten, hatten wir nichts gehört: von dem schrecklichen Unglück des Auswandererschiffs Edmond , das mit fast einhundert Seelen unterging. Die sterblichen Überreste der Toten wurden an den Strand gespült, den wir von unserem Picknickplatz aus sahen. Des weiteren ertranken vierzig Hungernde im Jahr zuvor auf einer Fähre in der Shannon-Mündung; eins der Opfer, ein kleines Mädchen, trug zu meiner traurigen Überraschung den Namen Jane Eyre.
    Bestürzt vernahmen wir auch Behauptungen, protestantische Missionare würden die anhaltende Not der Menschen ausnutzen, indem sie Suppenküchen einrichteten und Essen gegen Konvertierung ausgaben. Wer sich darauf einlässt, wird von seinen Nachbarn verhöhnt, er habe »ein katholisches Herz und einen protestantischen Magen«. Die Missionare provozieren die Menschen auch, indem sie ihnen vorwerfen, mit ihrer Anbetung von Brot und Wein und der Verehrung der Jungfrau Maria Götzendienst zu betreiben.
    Der Gentleman erzählte uns auch, wie grausam die Leute eines Dorfs an der Flussmündung in Dingen ihrer Religionsausübung behandelt werden. Ein Grundstücksmakler namens Marcus Keane, durch Heirat mit dem einflussreichsten
Grundbesitzer der Gegend verbunden, verweigerte ihnen fortwährend das Recht, Land zu erwerben, auf dem sie eine Kirche errichten könnten. Als Folge davon nahm der Gemeindepriester zu einer findigen Lösung Zuflucht: Er ließ sich eine hölzerne Kapelle auf Rädern bauen, nicht unähnlich den Umkleidekabinen, die Damen benutzen, wenn sie im Meer bei Kilkee baden. Bei Ebbe wird die sogenannte »Arche« auf das »Niemandsland« des Strands hinausgezogen, und dort wird dann die Messe gelesen.
    Mein Mann brachte an dieser Stelle zum Ausdruck, für wie schändlich er religiöse Intoleranz halte, auch wenn er sich noch so sehr wünschen möge, dass den Leuten die Augen über die Irrtümer Roms geöffnet würden.
    Daraufhin machte die Frau des Gentlemans einige faszinierende Bemerkungen. Sie sagte, bei dem, was ihr Mann berichtet habe, handle es sich lediglich um einen bereits lange währenden Konflikt, der ein neues Ventil gefunden habe: dass nämlich protestantische Missionare auf der einen und bigotte Katholiken auf der anderen Seite schon mehr als ein Jahrzehnt vor der großen Hungersnot einen Krieg der Worte und Ideen gegeneinander geführt hätten, und zwar seit dem Tag, da ein Frachtschiff namens Intrinsic während eines Sturms in einer nahen Bucht gesunken sei. Wenn ich Dir erzähle, dass Arthur mit einem der Passagiere auf dem unglücklichen Schiff – Sidney Hutchinson, der mit ihm zum Priester geweiht worden war – gut bekannt gewesen ist, wirst Du verstehen, warum er unverzüglich wissen wollte, welcher Zusammenhang da bestehen mochte.
    Nicht anders erging es mir. Doch der Kessel begann zu kochen, und ich unterbrach widerwillig, um den Tee zu machen. Von ein paar Kleinigkeiten abgesehen, stimmte der Bericht bisher weitgehend mit dem von Derry Costello überein. Außer dass die »Götzenanbetung«, die man den Leuten in den 1850ern vorwarf, mit ihrem Katholizismus zu tun hatte und nicht mit dem Gottesstein.
    Von dem Fährunglück hatte ich noch nie gehört, und ich dachte, wie befremdlich es für Charlotte gewesen sein musste, den Namen ihrer berühmtesten Romanfigur auf der Liste der Opfer zu finden.
    Ich trank gerade meinen ersten Schluck Tee, als das Telefon auf dem Nachttisch läutete. Es war Senan Costello.
    »Tut mir wahnsinnig leid, Illaun, aber ich bin viel zu spät dran.«
    War das die Lösung, auf die ich gehofft hatte – dass er derjenige sein würde, der absagte?
    »Macht nichts«, sagte ich. »Dann vielleicht ein andermal.«
    »Ich muss zu einem Freund nach Ennis fahren, um eine Auftriebsweste zu holen, die Ihnen passen könnte. Alles, was ich hier habe, ist viel zu groß. Aber ich bin immer noch mit von der Partie, wenn Sie wollen. Es müsste nur ein bisschen später sein.«
    »Äh … wie viel später?« Meine letzte Chance, die Sache abzublasen.
    »Na ja, wenn wir vor zehn da draußen sind, wäre es immer noch in Ordnung. Sagen wir, um halb zehn an der Bootsrutsche?«
    Ich sog scharf die Luft ein. Das klang für mein Gefühl viel zu sorglos. »Ich glaube, ich lasse es bleiben, Senan. Heute ist viel passiert, und ich bin ein bisschen …«
    »So eine Chance werden Sie die nächsten zwanzig Jahre
nicht bekommen. Die Gezeiten werden gerade wechseln, Sie würden es also

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