Die Opferstaette
Vertrauen in die menschliche Natur zurückgewinnen.
Und ich musste unbedingt mit jemandem außerhalb des geschlossenen Universums reden, in dem ich mich anscheinend endlos im Kreis drehte.
Muriel Blunden war in ihrem Büro. »Hallo …?« Ich hörte sie an einer Zigarette ziehen.
»Rauchen Sie bei der Arbeit?«
»Mein Büro ist der einzige Ort in dem verdammten Gebäude, wo ich es ungestraft tun darf«, sagte sie.
Ich erzählte ihr vom Fund des Motivstücks auf Bishop’s Island.
»Das war aber unartig von Ihnen. Sie wissen, dass Sie nicht einfach in so einer Fundstätte herumstochern dürfen.«
»Ich weiß. Sie werden mir eine zurückdatierte Genehmigung ausstellen müssen.«
»Ha, ha. Bringen Sie das Stück einfach so schnell wie möglich ins Museum. Was für eine Art Arbeit ist darauf?«
Ich beschrieb die Triquetra und die Kreuze. »Ich dachte, zwei davon könnten die klösterlichen Gemeinschaften auf George’s Head und Bishop’s Island darstellen, deshalb tauchte ich, um nach dem dritten Ort zu suchen, in einer Bucht namens Intrinsic Bay. Ich fand eine versunkene Felsbehausung. Und einige Schnitzereien im Fels.«
»Sie meinen, buchstäblich unter dem Meer?«
»Ja. Schwer zugänglich. Aber man sollte sie erkunden. Ogam-Schrift und irische Inschriften. Ein Kreuz mit erweiterten Enden, die jeweils eine Triquetra enthalten. Und ich war nur kurz dort. Es könnte noch mehr geben. Ich halte es für mehr als wahrscheinlich, dass die drei Stätten zusammengehörten.«
»Faszinierend. Ich kann mich an keine andere solche Klostergründung erinnern. Aber traurig, dass eine der Stätten zerstört wurde. Sagen Sie – war Theo Mahon mit Ihnen tauchen?«
»Nein, ich war allein.« Ich widerstand dem Drang, ihr die Geschichte zu erzählen. Nur nichts unnötig verkomplizieren, war mein neuer Leitspruch.
»Wie geht es ihm denn so?«
Ich war mir nicht sicher, ob sie es hören wollte.
»Er hatte eine üble Schalentiervergiftung, aber es geht schon wieder.«
Sie schnaubte. »Das überrascht mich nicht. Ich dachte früher, Champagner und Kaviar gehörten zu seinem Verführungsritual, aber im Grunde geht es ihm nur darum.« Sie saugte an ihrer Zigarette. »Deshalb war er so glücklich, als Gus Carmody dieses Restaurant eröffnete.«
»Die beiden scheinen sich tatsächlich sehr gut zu kennen.«
»Natürlich, sie sind schließlich Schwager. Theos Schwester Dympna war mit Gus Carmody verheiratet.«
Aha.
»Aber um auf die Stätte auf George’s Head zurückzukommen – ich treffe morgen Abend jemanden, der früher ein Architekturbüro in der Grafschaft Clare hatte. Ich wette, dass er etwas über den Hintergrund dieses Bauprojekts weiß.«
»Wenn ich recht verstehe, treffen Sie ihn aber nicht meinetwegen.«
»Nein. Aber wenn uns der Gesprächsstoff ausgeht, ist es ein hübscher Lückenfüller.«
»Na, vielen Dank. Ich verstehe schon, welchen Stellenwert meine Anliegen haben.«
Ich legte das Telefon beiseite. Mir war zumute wie einer Fliege, die gegen ein Fenster fliegt.
Ich hatte nicht die Energie, es gleich noch mal zu versuchen, und streckte mich auf dem Bett aus. Die Ereignisse der vorangegangenen Tage paradierten unaufgefordert durch meinen Kopf, immer im Kreis wie die eingeschlossene Fliege, zu der ich geworden war. Ab und an versuchte ich, eines zu fassen, zu verstehen, warum es passiert war. Aber wenn ich glaubte, es
in die Enge getrieben zu haben, entwischte es mir und begann wieder zu kreisen.
Ein Bild tauchte häufiger auf: die Kerzenreihe in der Höhle. War es eine religiöse Geste? In Anerkennung der Tatsache, dass sie früher ein heiliger Ort gewesen war? Oder wurde sie aus anderen Gründen als solcher behandelt?
Und war es nicht merkwürdig, dass eine Kirche nur wenige Meter von derselben Höhle entfernt in einem Sturm gesunken war und dass es schon lange zuvor Geschichten von einer versunkenen Kirche in der Gegend gegeben hatte? Ich konnte sie jetzt sehen – sie war aus Bernstein. Sie stieg aus den dunklen Wassern des Meeresgrunds auf, ihre glasig grünen Türme und Spitzen reichten fast bis zu dem silbernen Baldachin der Wasseroberfläche.
Während ich durch die trüben Tiefen schwamm, kam eine Frau in einem hellblauen Kleid aus der Kirche und stieg die Stufen zu mir herab. Das lange Haar wirbelte um ihren Kopf und verbarg ihr Gesicht vor mir. Sie machte gurgelnde Geräusche, es schien, als versuchte sie, mit mir zu sprechen.
»Das geht unter Wasser nicht«, dachte ich und legte den Maßstab
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