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Die Opferung

Die Opferung

Titel: Die Opferung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Graham Masterton
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sie noch am Leben gewesen war. Bloß dass man sie hinter dem Fenster nicht hören konnte. Wir haben uns vor Angst verrückt gemacht.«
    »Heute Morgen habe ich jemanden gesehen. Ich sah durch das Fenster der Kapelle hierher, und da stand jemand auf der Wiese, exakt hier.«
    Liz schloss die Augen. »Komm schon, David. Das kann doch jeder gewesen sein.«
    Es war schön zu hören, wie jemand meinen Namen aussprach. Das ist der einzige Luxus, der einem wirklich fehlt, wenn man allein ist.
    Danny nannte mich immer >Daddy<, und >Daddy< war ja auch in Ordnung. Aber nichts war so gut wie Liz, wenn sie >David< zu mir sagte.
    »Ich mache mich jetzt besser auf den Weg«, sagte ich zu ihr. »Und danke für die Sandwiches.«
    Sie ließ sich wieder auf den alten braunen Vorhang sinken und sah mich mit zugekniffenen Augen an. »War mir ein Vergnügen, Monsieur. Was möchtest du zum Abendessen?«
    »Wie wär's mit dem Chili, von dem du gesprochen hast?«
    »Gerne. Kannst du eine Dose Kidneybohnen holen? Und Kümmel und Chilipulver?«
    »Sonst noch was? Etwas Fleisch wäre doch auch nicht verkehrt, oder?«
    Sie lachte. Wenn ich heute zurückblicke, dann glaube ich, dass es dieses Lachen gewesen ist, das mich dazu bewegte, meine Liebe zu Janie aufzugeben. Es gab auch noch andere Frauen auf der Welt. Vielleicht nicht unbedingt Liz, sondern andere Frauen, die lachen konnten und die liebenswürdig waren. Und die sich vielleicht auch um Danny kümmern wollten.
    »Gehacktes«, sagte sie. »Nicht zu fett.«
    Ich ging durch den Garten zum Haus zurück und bemerkte dabei eine fahle Gestalt hinter einem der Fenster im Obergeschoss. Eine fahle Gestalt, die mich beobachtete.
    Ich weigerte mich, den Kopf zu heben und diese Gestalt anzusehen. Was Fortyfoot House nötig hatte, war eine gehörige Portion Skepsis - ein Verneinen durch geistig gesunde und sensible Menschen, dass Männer in Frack und hohem Zylinder umherlaufen, wenn sie seit hundert Jahren tot sind, ein Verneinen, dass haarige kichernde Dinge sich auf dem Speicher tummeln oder dass fahle Gesichter durch die Fenster starren.
    Was mich anging, war Fortyfoot House nichts weiter als ein Wirrwarr aus Vorwürfen und Erinnerungen und Halluzinationen. Vielleicht war es nicht der geeignetste Platz für mich, wenn man meine Trennung von Janie und meine recht instabile Verfassung berücksichtigte. Aber da gab es nichts Böses oder Verfluchtes. Ich glaubte nicht an das »Böse«, nicht um seiner selbst willen. Und ich glaubte auch nicht an
    Gespenster. Ich hatte gesehen, wie mein Vater in seinem Sarg zu den Klängen von The Old Rugged Cross hinter den roten Vorhängen des Worthing-Krematoriums verschwunden war. Und obwohl ich zu Gott gebetet hatte, er möge ihn auferstehen lassen, hatte ich ihn seitdem nirgends entdecken können. Ich war ihm nicht in der Bibliothek von Brighton begegnet und ich hatte ihn nicht mit seinem Bullterrier am Strand entdeckt, wo er immer spazieren gegangen war. Quod erat demonstrandum, dachte ich. Jedenfalls traf das auf mich zu.
    Während ich aber im Schein der Sonne, die geradewegs aus 12 Uhr mittags hätte stammen können, die Stufen der Veranda hinaufging, sah ich kurz nach oben. Das blasse Ding war noch immer da. Spiegelte sich dort etwas? War es ein Vorhang?
    Ich betrat das Haus und nahm meine Brieftasche und die Schlüssel. Dabei kam ich mir vor wie ein Eindringling, fast schon wie ein Einbrecher. Meine Schritte klangen unnatürlich laut und zaghaft. Fortyfoot House gehörte einem anderen, aber nicht mir oder Danny. Es gehörte nicht mal den Tarranis.
    Ich sah mich um, während ich den Staub und die Feuchtigkeit und den Geruch von Schimmelpilzen im Keller einatmete.
    »Hallo?«, rief ich. Dann noch einmal, aber lauter: »Hallo?«
    Keine Antwort. Ich sprach ein kurzes Gebet, das mir in der Sonntagsschule von Miss Harpole beigebracht worden war, der Lehrerin mit ihrem Dutt wie Olivia Ol und ihrer blinden Brille.
»Jesus, schütz mich vor den Klauen der Dinge aus der Tiefe Grauen. Jesus, schütz, wenn ich nicht wach, mich vor der Hölle Drach'.«
    Das Gebet ging noch weiter, aber ich konnte und wollte mich nicht mehr daran erinnern. Um ehrlich zu sein, hatte es mir damals eine Höllenangst verursacht. Die normalen Albträume waren für einen Fünfjährigen schon schlimm genug, ohne dass ihm eine Miss Harpole noch erzählen musste, die Schatten unter seinem Bett wollten ihn in Stücke reißen.
    Ich verließ das Haus, ohne die Vordertür hinter mir zuzuziehen. Ich war

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