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Die Opferung

Die Opferung

Titel: Die Opferung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Graham Masterton
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kam von der Veranda herein und fragte, ob wir eine Tasse Tee haben wollten. Harry Martin sagte ja, ohne mich zu fragen, woraufhin uns Mrs. Martin ein Tablett mit Biskuits und zwei Tassen gesüßten Tee brachte.
    »Und was soll ich mit dieser Ratte machen?«, fragte ich Harry Martin. »Immer vorausgesetzt, es ist eine Ratte. Oder auch, wenn es keine ist.«
    Harry Martin blies nachdenklich Rauch in die Luft. »Ich schätze, ich könnte mich dazu überreden lassen, mal einen Blick draufzuwerfen.«
    Sofort kam Mrs. Martin aus der Küche und herrschte ihn an: »Du jagst keine Ratten mehr, du bist jetzt Gärtner. Ich bin es leid, dass der Landrat dich immer bittet, Ratten zu jagen.«
    Harry Martin warf mir über den Rand seiner Teetasse einen bedeutungsvollen Blick von Mann zu Mann zu. »Schätze, du hast Recht«, erwiderte er.
    »Natürlich habe ich Recht«, erklärte seine Frau. »Du bist siebenundsechzig. Ich will nicht, dass du auf irgendwelche Dachböden krabbelst und nach Ratten suchst. Damit das ein für allemal klar ist!«
    »Ja, ich schätze, du hast recht«, wiederholte Harry Martin und bedachte mich mit einem noch bedeutungsvolleren Blick.
    Ich trank meinen Tee aus. Am Tassenboden war eine dicke Schicht Zucker zu sehen, die sich nicht aufgelöst hatte. »Dann mache ich mich wohl besser wieder auf den Weg«, sagte ich. »Vielleicht finde ich in Portsmouth jemanden, der mir helfen kann.«
    »Sie können es bei Rentokil in Ryde versuchen«, schlug Mrs. Martin vor.
    »Ja, danke. Und danke für den Kuchen.«
    »Selbst gemacht«, verkündete sie und schob mich mehr oder weniger nach draußen.
    Harry Martin blieb, wo er war, hob aber eine Hand und sagte: »Bis dann.«
    Im Garten fasste mich Mrs. Martin unerwartet am Ärmel.
    »Hören Sie. Ich möchte nicht, dass Harry hinter dem Ding herjagt. Mehr sage ich dazu nicht.«
    »Okay, okay, ich habe verstanden«, beschwichtigte ich sie.
    »Das Ding will einfach nur allein gelassen werden, sonst nichts«, sagte sie.
    Die Hitze hatte ihr Make-up zum Zerlaufen gebracht, was ihrem Gesicht das glänzende Aussehen einer Plastikpuppe verlieh. Ihre Pupillen waren extrem klein.
    »Ich muss das Ding irgendwie loswerden«, sagte ich. »Ich soll Reparaturen ausführen, renovieren und das Haus für die Tarrants fertig stellen, damit sie es verkaufen können.«
    Ihr Griff wurde noch fester. »Sie können ein Hause heute reparieren, aber nicht gestern.«
    »Ich verstehe nicht.«
    »Wenn Sie erst mal lange genug da leben, werden Sie es verstehen. Das Haus ist nicht immer im Hier und Jetzt. Das Haus war, und es wird sein. Sie hätten es nie bauen sollen, aber nachdem es gebaut worden war, konnte niemand mehr etwas daran ändern. Und Sie können daran auch nichts ändern. Und Harry kann daran ebenso wenig ändern. Er hat irgendein persönliches Interesse an dieser Sache, aber fragen Sie mich nicht, was es ist. Und fragen Sie ihn nicht, ob er sich das Ding mal ansieht. Und wenn er das trotzdem will, dann hindern Sie ihn daran.«
    »Also gut, ich verspreche Ihnen, dass ich ihn nicht noch mal fragen werde.«
    Aus dem Wohnzimmer rief Harry: »Wie wäre es mit noch einem Tee, Vera?«
    »Reg dich bloß nicht auf!«, rief Mrs. Martin zurück und wandte sich wieder mir zu. »Schwören Sie, dass Sie sonst der Schlag trifft?«
    »Ich schwöre. Ich würde nur gerne wissen, was das für ein Ding ist.« »Eine Ratte, schätze ich.«
    »Eine über sechzig Jahre alte Ratte?«
    »Eine Laune der Natur. Es gibt auch Hunde mit drei Beinen, zweihundert Jahre alte Schildkröten.«
    »Wissen Sie, was es ist?«, fragte ich sie ohne Umschweife.
    Ihre Augen zuckten. Sie ließ mich los und wischte sich ihre Hände an ihrer geblümten Schürze ab.
    »Sie wissen, was es ist, richtig?«, bohrte ich nach.
    »Nicht wirklich. Ich weiß seinen Namen.«
    »Es hat einen Namen?«
    Sie sah mich an, als sei es ihr ein wenig peinlich, darüber zu reden. »Ich wusste davon schon, als ich noch ein kleines Mädchen war. Meine Mutter hat mir Gutenachtgeschichten darüber erzählt, um mir Angst einzujagen. Sie sagte immer, wenn ich etwas stehlen oder Unsinn erzählen würde, dann würde es in der Nacht zu mir kommen und mich an einen Ort verschleppen, an dem mich nicht mal die Zeit finden würde. Was es mit mir machen würde, wäre so entsetzlich, dass niemand etwas davon wissen wolle.«
    »Hat sie Ihnen gesagt, wie es heißt?«
    »Jeder kannte seinen Namen. Sogar meine Oma. Es war eins von diesen Dingen, die einfach jeder weiß. Und

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