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Die Opferung

Die Opferung

Titel: Die Opferung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Graham Masterton
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etwas Ähnliches. Vielleicht auch Statik. Das Meer ist nicht weit entfernt, es könnte ein Elmsfeuer sein.«
    »Was?«
    »Du weißt schon, Elmsfeuer. Manchmal sieht man es an den Schiffsmasten oder an den Spitzen von Tragflächen. Die Seeleute nannten es Elmsfeuer. Nach dem Schutzheiligen der Seeleute im Mittelmeerraum, St. Erasmus.«
    Ich hielt inne und sah sie an. Ganz offensichtlich fragte sie sich, woher ich das alles wusste. »Ich hab davon im Eagle Annual Comic gelesen, als ich zwölf war.«
    »Oh.« Sie war zu jung, um sich an den Eagle zu erinnern, wie ich ihn noch kannte. »Und die Schreie?«
    »Frag mich nicht. Vielleicht war es Luft in den Wasserleitungen. Vielleicht hat sich eine Taube in den Speicher verirrt, und die Ratte hat sich auf sie gestürzt.«
    »Tauben schreien nicht. Jedenfalls nicht so.«
    »Ich weiß. Aber vielleicht war sie eine Ausnahme.«
    Wir warteten in der Dunkelheit. Ich hatte mich noch nie so beunruhigt und wehrlos gefühlt. Liz drückte meine Hand, ich drückte ihre, aber ich wusste nicht, was ich machen sollte. Nicht eine Sekunde lang glaubte ich daran, dass sich auf dem Speicher irgendetwas abspielen könnte, das nicht irdischen
    Ursprungs war. Es hatte einen Kurzschluss gegeben, die riesige Ratte schrie und tobte. Noch immer glaubte ich nicht, dass dort oben irgendetwas Übernatürliches vorgehen könnte. Ich fand es so schon unheimlich genug, ohne mir auch noch Gedanken darüber zu machen, dass sich die Geschehnisse jeder natürlichen oder vernünftigen Erklärung entziehen könnten.
    »Vielleicht solltest du mal nachsehen«, schlug Liz vor.
    »Vielleicht sollte ich mal nachsehen?«
    »Du bist der Mann.«
    »Das liebe ich«, gab ich zurück, während ich noch immer zitterte. »Du bist wie all die anderen Frauen auch, die ich kenne. Du willst nur dann gleichberechtigt sein, wenn es dir gefällt.«
    Trotzdem wusste ich, dass ich auf den Speicher gehen musste, um mich dem zu stellen, das oben wütete. Ich konnte angesichts dieser Lichter, der Schreie und des Gepolters nicht einfach zurück ins Bett gehen. Nicht etwa, weil ich nicht hätte schlafen können, sondern weil diese riesige Ratte meine gesamte Arbeit für diesen Sommer gefährdete. Und auch meine Männlichkeit, meine Glaubwürdigkeit als Mann. Liz sollte nicht glauben, dass ich mich fürchtete. Gerade sie sollte das nicht glauben.
    Wieder flackerte das Licht, wenn auch nicht so hell. Es hatte mehr eine orangene Färbung, und Sekunden später war ich sicher, dass ich Brandgeruch wahrnahm.
    »Glaubst du, der Dachboden steht in Flammen?«, fragte Liz.
    »Keine Ahnung. Aber ich schätze, ich muss wirklich nachsehen.«
    Ich blickte mich nach einer geeigneten Waffe um. Im Schlafzimmer neben uns gab es, von viel in dieser Situation unbrauchbarem Gerümpel abgesehen, einen zerbrochenen Küchenstuhl. »Warte«, sagte ich zu Liz, ging in das Zimmer und riss an der Rückenlehne, bis sie lärmend nachgab und ich eines der hinteren Stuhlbeine lösen konnte.
    »So«, sagte ich und fuchtelte wie ein Höhlenmensch mit seinem Knüppel. »Ein falsches Wort, und dann setzt es was mit dem Stuhlbein.«
    Ich näherte mich der Tür zum Dachboden. Das Flackern war erloschen, aber ich konnte noch immer das unregelmäßige elektrische Zischen und Krachen hören. Ich nahm auch noch den prägnanten säuerlichen Geruch wahr, der von etwas Brennendem stammen mochte, vielleicht aber auch eine ganz andere Ursache hatte. Für etwas Brennendes war der Geruch sogar etwas zu süßlich. Es war schwer, den Geruch einzuordnen. Aus irgendeinem Grund musste ich an den Mief eines antiken Schreibtischs denken, der einem entgegenschlägt, wenn man die Schubladen öffnet.
    »Klingt so, als sei Ruhe eingekehrt«, sagte Liz.
    »Das beruhigt mich nicht im Geringsten.«
    »Nun komm schon«, trieb Liz mich an. »So schlimm kann es ja nicht sein, wenn jeder im Dorf davon weiß.«
    »Meinst du?«, sagte ich zweifelnd. »Es könnte auch schlimmer sein. Warum sollte jeder davon wissen, wenn es nicht etwas ganz Schreckliches ist?«
    Liz sah mich an, ihr Gesicht verfinsterte sich, während ich sie fragend anblickte, ohne eine Antwort zu bekommen. Es gibt nichts Schlimmeres, als wenn die Frau, die man mag, etwas von einem verlangt, was man hasst.
    Schließlich aber schob ich den kleinen Metallriegel zur Seite und öffnete die Tür. Wieder der Geruch von etwas Eingeschlossenem, von ausgeatmeter Luft. Ich konnte den Brandgeruch noch wahrnehmen, aber er war schwächer geworden.

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