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Die Opferung

Die Opferung

Titel: Die Opferung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Graham Masterton
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leiseste Ahnung. Er hat selbst gesagt, dass echte Geister nichts mit den Geistern im Kino zu tun haben. Sie verschwinden nicht einfach, nur weil jemand es ihnen befiehlt. Ich meine, wir haben es hier nicht mit Linda
    Blair oder Patrick Swayze zu tun.« Ich musste wieder an diese massige schwarze Gestalt denken, die sich langsam um die Sonnenuhr drehte, mit rauchendem Haar, das Gesicht schmerzverzerrt. N'gciaa nngggaa sothoth nggaaa. Es war eine Täuschung gewesen. Es musste eine gewesen sein. Aber was wäre geschehen, wenn ich nach ihm gegriffen hätte, während er an mir vorbeikam? Hätte ich ihn wirklich spüren können? Oder wären seine Beine einfach durch mich hindurchgegangen?
    »Ich meine immer noch, dass wir ausziehen sollten«, sagte Liz. »Wir könnten uns einen Wohnwagen auf dem Shanklin Caravan Park mieten. Das kostet nicht viel, und du könntest trotzdem deine Arbeit hier erledigen, oder?«
    »Ich glaube schon«, antwortete ich. Aber da nun Dennis Pickering vorbeikommen wollte, war ich zuversichtlicher, dass wir die Geister im Fortyfoot House zur Ruhe kommen lassen konnten. Die Erscheinungen waren wirklich beängstigend gewesen, vor allem in der Nacht. Doch abgesehen von Harry Martin - und, mal ehrlich, das musste doch wirklich ein Unfall gewesen sein - war niemandem etwas zugestoßen.
    »Warum hören wir uns nicht erst an, was der Vikar zu sagen hat, und entscheiden dann?«, schlug ich vor. »Es sind nur Geister, im Grunde sind es nur Bilder. Und dazu noch von Menschen, die vor über hundert Jahren gestorben sind. Sie sind ... ich weiß nicht ... so etwas wie lebende Fotografien. Wie sollen die uns etwas antun?«
    »Ich glaube kaum, dass ich das herausfinden möchte«, sagte Liz. Sie klang überraschend entschlossen.
    Ich sah sie aufmerksam an: »Du meinst, du willst nicht mal heute Nacht bleiben?«
    »David, es tut mir wirklich Leid. Aber mir fällt es ohnehin schwer genug, meine Gedanken zusammenzuhalten, da brauche ich nicht noch Lichter und Geräusche in der Nacht.«
    »Was ist los mit dir?« Ich wusste, dass ihre Stimmung ständig schwankte, aber das hatte ich auf ihr Alter geschoben oder auf ihre Monatsblutung oder auf den puren Schrecken der Ereignisse um uns herum.
    Geistesabwesend streichelte sie mein Knie. »Ach, ich weiß nicht. Ich glaube, ich bin nicht besser als du. Ich kann mich auch nicht entscheiden, was ich sein will. Ich kann mich ja nicht mal entscheiden, wer ich sein will. Und dass ich hierher gekommen bin, hat die Antwort nicht leichter gemacht. Eigentlich ist es jetzt nur noch schlimmer.«
    »Ich verstehe nicht.«
    Sie lächelte mich an. »Ich glaube, ich habe ein Identitätskrise«, sagte sie schließlich. »In der einen Minute fühle ich mich stark und unabhängig, und dann fühle ich mich wieder so schwach wie ein kleines Kätzchen. Einmal glaube ich, dass ich mein Leben völlig unter Kontrolle habe, dann wieder scheint alles in die Brüche zu gehen. Mal glücklich, mal traurig. Heute Morgen habe ich meine Augen geöffnet und ich kam mir so vor, als sei ich jemand anderes. Ich kann es nicht beschreiben. Aber es hilft mir nicht, wenn ich hier bleibe.«
    »Du willst wirklich abreisen?«
    Sie nickte. Sie sah zwar müde aus, aber auch sehr hübsch. Ich legte meine Hand auf ihre.
    »Allen Ernstes«, sprach sie weiter. »Das Letzte, was ich jetzt gebrauchen kann, sind seltsame Geräusche, riesige Ratten und arme alte Männer, denen der Kopf abgerissen wird.«
    »Da haben wir ja was gemeinsam«, sagte ich.
    »Ja«, stimmte sie mir zu. »Aber ich brauche keinen Mann, der sich ebenfalls nicht entscheiden kann.«
    »Da muss ich dir wohl beipflichten.«
    Ich sah mich um. Von Mrs. Kemble war noch immer nichts zu sehen. Eine dünne Gestalt kam aus Richtung Ventnor am Strand entlanggelaufen. Etwa eine halbe Meile entfernt. Bauz! Da geht die Türe auf, Und herein in schnellem Lauf ... Aber als ich eine Hand über meine Augen hielt, konnte ich sehen, dass es sich nur um einen alten Mann handelte, der mit seinem schwarzweiß gefleckten Hund spazieren ging.
    Die Sonne stand noch immer recht hoch, aber die Schatten wurden allmählich länger, und die Brise von der See her war ungewöhnlich frisch. Ich konnte nicht verstehen, warum Mrs. Kemble so spät am Nachmittag ihr Café verließ, ohne zu schließen.
    In dem Moment hörte ich ein hohes, pfeifendes Geräusch vom Strand her. Zunächst konnte ich es nicht definieren; es klang wie eine Flöte oder eine Pfeife. Ich kniff die Augen zusammen und

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