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Die Orangen des Präsidenten

Die Orangen des Präsidenten

Titel: Die Orangen des Präsidenten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Abbas Khider
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Anklage oder seine früheren Taten. Er hatte niemals davon gesprochen. Adnan behauptete, Abu-Zainb sei eine sehr wichtige Persönlichkeit gewesen. Ein Rechtsanwalt, der Unterstützung vom britischen Geheimdienst erhalten hatte, um eine demokratische Partei im Südirak aufzubauen. Er habe es aber nicht geschafft, irgendetwas Nennenswertes auf die Beine zu stellen. Sein eigener Bruder, ein treuer Baathist, habe ihn bei der Polizei angezeigt.
    Wir feierten den Tag von Abu-Zainbs Abtransport. Die Wärter kamen am selben Tag zu Adnan und bestellten ihn wieder zum Kapo, auf Befehl des Blonden. Keiner verstand, wieso Adnan abermals beauftragt worden war. Später erfuhr er, dass der Blonde genau gewusst habe, dass Abu-Zainb ein Lügner sei und nur mehr Brot wollte. Er soll dem Blonden von einer Organisation erzählt haben, die Adnan angeblich in der Haft gegründet hatte. Sozusagen eine neue Partei.
    Ich meinerseits war froh, dass Adnan wieder Kapo war, weil ich meine alte Arbeit – Kloeimer leeren und Trinkwassereimer füllen – fortsetzen konnte und ein viertel Stück Brot zusätzlich bekam.
    »Der Hunger konnte das wahre Wesen eines Menschen an die Oberfläche pressen, ob aus Fäulnisgestank oder wohlriechenden Düften«, schrieb Dahlal einmal an die Zellenwand. Der Hunger verlangte uns eine außergewöhnliche Stärke ab, ihn neben all den anderen Grausamkeiten zu ertragen, über Monate und Jahre hinweg. Er schärfte dafür im Laufe der Zeit unsere Sinne. Bald konnten wir die leisesten Gerüche wahrnehmen und unterscheiden, die aus den Räumen der Wärter in unsere Zellen drangen. Der Gebetsrufer Ahmed lernte sogar, die Teesorte zu erriechen. Er konnte genau bestimmen, was es bei den Wärtern zu essen und zu trinken gab, ob Zwiebeln,Brot oder Eier. Diese neue Fähigkeit entpuppte sich aber als wahrhaftiger Fluch. Wenn ich den Geruch von Essen bemerkte, verkrampfte sich mein Magen. Jedes Mal musste ich fest mit den Händen auf meinen Bauch drücken und mich lange auf den Boden legen, bis mir die Tränen kamen. Letztlich musste ich des Hungers wegen mit einem anderen Problem kämpfen – mit dem Stuhlgang. Am Anfang konnte ich mich fast täglich entleeren. Nach einem Monat reduzierte sich das auf einmal pro Woche. Dann einmal alle zwei Wochen, verbunden mit außerordentlichen Schmerzen. Es war ja nichts im Bauch. Es kamen nur kleine feste Kerne wie Kiesel heraus. Während unserer zweistündigen Spaziergänge im Flur konnte man immer einen auf dem Klo stöhnen hören.

Viertes Kapitel
Babylonier
1984–1987
    Im vierten Kriegsjahr musste ich wie alle Schüler der vierten bis sechsten Klasse zu den Jungpionieren. Jeden Donnerstag hatten wir in unserer Militäruniform anzutreten, die uns die Regierung kostenlos zur Verfügung stellte. Der Sportlehrer und Schutzpolizist der Führer-Grundschule – so hieß die Schule, die ich besuchte – begleitete uns zum Pionierlager, wo bereits eine Menge anderer Schüler aus verschiedenen Schulen versammelt waren. Auf dem großen Platz des Lagers sollten wir dann militärisches Marschieren und Exerzieren lernen: »Haltung annehmen! Hinsetzen! Vortreten! Seid bereit! – Immer bereit!«, auch den Umgang mit Pistolen und anderen Waffen.
    Ich ging aber nur drei Mal hin und dann nie wieder, weil einige ältere Schüler mich dort nach allen Regeln der Kunst vermöbelt hatten. Ich hatte nicht bemerkt, dass ich einemgroßen, kräftigen Schüler auf den Fuß getreten war. Ich wusste auch nicht, dass er ein großer Anführer an seiner Schule war. Nach der Tracht Prügel weigerte ich mich, in der folgenden Woche wieder zu dieser Veranstaltung zu gehen. Der Sportlehrer bestrafte mich deshalb sehr hart. Ich musste vor allen Schülern und Schülerinnen auf dem Hauptplatz der Schule stehen und erhielt von ihm zehn Stockschläge auf die Hand. Anschließend befahl er den anderen, mich abzuklatschen. Aber nicht mit den Händen, sondern mit den Füßen. Zuletzt durften sie mich auch noch »Mädchen« nennen.
    An diesem Tag weinte ich sehr viel, meine Hände schmerzten. Als meine Mutter von der Bestrafung erfuhr, war sie aufgebracht. Leider aber hatte sie nicht die geringste Chance, irgendetwas gegen den Sportlehrer zu unternehmen, weil er der Regierungspartei angehörte.
    Einige Zeit später störte es mich überhaupt nicht mehr, ein »Mädchen« geworden zu sein, denn viele andere Schüler wurden ebenfalls »Mädchen«. Es war angenehm, die Zeit mit den Schülerinnen zu verbringen, denn sie hatten

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