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Die Orangen des Präsidenten

Die Orangen des Präsidenten

Titel: Die Orangen des Präsidenten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Abbas Khider
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nicht viel. Nur zwei Kartoffeln.
    Nasrijah, 20. Februar 1991, 3 Uhr morgens. Razaq Mustafa
(3)
    Lieber Mahdi,
    dieser Brief könnte der letzte an Dich sein. Danach hoffe ich, wenn Du und ich noch am Leben sind, sprechen wir endlich wieder von Angesicht zu Angesicht. Der Krieg ist vorbei. Vor einigen Tagen, am 27. Februar, erklärten die Alliierten Kuwait für befreit. Wir haben in diesem Krieg sehr viel verloren, Tausende kamen ums Leben. Auch unsere Zukunft kam ums Leben. Es ist alles zerstört, es gibt nur noch Ruinen. Wir sind fast wieder in der Steinzeit gelandet, wie der amerikanische General es uns prophezeit hat.
    Ein anderer Krieg aber ist noch nicht vorbei. Er fängt gerade erst an: der Krieg zwischen Volk und Regierung. Die Opposition im In- und Ausland hat Kontakte geknüpft. Die Kommunisten haben verkündet, dass die Amerikaner kein Problem damit hätten, wenn die Iraker selbst Saddam stürzen würden. Sie wollten aber nichts damit zu tun haben. Im Radio hörte ich, die Kurden im Norden wären schon im Aufstand. Einfache Soldaten, die aus Kuwait zurückgekehrt sind, haben sich den Oppositionellen in Basra angeschlossen und kämpfen gegen die Baathisten.
    In Nasrijah schien es, als schwanke die Stadt wie bei einem Erdbeben. Auf der einen Seite sitzen die Baathisten in ihren Verwaltungsgebäuden, schwer bewaffnet. Und ich weiß nicht, worauf sie warten! Auf der anderen Straßenseite steht das Volk. Ich glaube, wenn ein einfaches Kind auf der Straße »Nieder mit Saddam!« rufen würde, gäbe es sofort eine Revolution. Alle Leute stünden auf und riefen dasselbe.
    Wenn es wirklich einen Aufstand gibt, bleibe ich nichthier. Ich werde Männer mitnehmen – und bestimmt werde ich viele finden – und Richtung Bagdad marschieren. Dort muss der Aufstand stattfinden. Die Schlange wird niemals tot sein, wenn der Kopf nicht abgerissen wird. Und der Kopf sitzt in Bagdad.
    Also hoffe ich, dass wir uns bald sehen. Ich habe das Gefühl, wir werden uns treffen. Wann genau? Ich weiß es nicht.
    Übrigens hast Du Dein Abitur bestanden. Mit einem Durchschnitt von 82%. Herzlichen Glückwunsch! Dein Zeugnis habe ich schon seit einer halben Ewigkeit für Dich aufbewahrt. Es ist bei Laila. Es könnte sein, dass Du es irgendwann brauchst. Wer weiß?!
    Nun, Dir alles Gute!
    Nasrijah, 1. März 1991, 8 Uhr. Razaq Mustafa
(4)
Sami
    Lieber Mahdi,
    ich weiß nicht, wie oft ich den Satz »Ich weiß nicht« gesagt habe. Ich muss leider auch diesen Brief mit diesem Satz beginnen: Ich weiß nicht, wie ich Dir die neuen Nachrichten übermitteln soll.
    Es geht um Sami …
    Er gehört nicht mehr unserer Welt an. Es tut mir sehr leid. Aber ich muss es Dir erzählen, bevor Du es von jemand anderem erfährst. Es fällt mir sehr schwer.
    Sami ist tot.
    Der Täter heißt Karim, der Taubenzüchter aus dem Al-Iskan-Viertel. Du kennst ihn, er und Sami waren immer Feinde. Aber keiner dachte, ihre Feindschaft könne zu einem Mord führen.
    Ich weiß nicht, ob Du die Geschichte mit der grünen Taube kennst?! Sami hatte eine grüne Taube von Karim erjagt und wollte sie ihm nicht mehr zurückgeben, wie üblich. Karim hatte so etwas früher auch mit Sami gemacht. Wegen der grünen Taube gab es nun zwischen den beiden einen Streit.Wer hätte ahnen können, dass Karim deswegen seinen Verstand verlieren würde?
    Sami hatte es geschafft, die grüne Taube nach einigen Monaten zu einer seiner treuesten Tauben zu machen. Karim dagegen hatte immer gehofft, sie würde zu ihm zurückkehren. Vergeblich. Karim wurde verrückt vor Ärger. Fast jede Woche ließ er sich volllaufen, kam ins Taubencafé und wollte Sami erdolchen. Jedes Mal beruhigten ihn die Zechgenossen und schickten ihn nach Hause.
    Am Morgen eines kalten Februartages im Jahr 1990 fanden die Leute Sami tot auf der Straße gegenüber seinem Haus. Er lag auf dem Boden in seinem Blut, zehn Dolchstiche oder mehr in Brust und Bauch, einer am Hals. Eine große Gruppe von Taubenzüchtern suchte Karim, um Sami zu rächen. Aber Karim war verschwunden. Am selben Tag hatte er Samis ganze Taubenfamilie ausgerottet. Das Dach sah aus wie nach einem Massaker. Die Köpfe waren von den Körpern abgetrennt. Außer der grünen Taube. Karim hat sie gekreuzigt, wie die Römer Jesus. Ihre Flügel heftete er mit Nägeln an den Taubenschlag und sein Dolch steckte in ihrem Bauch. Mit ihrem Blut hatte er an die Wand geschrieben: »Verräterin«. Es war ein Massaker. Karim ist seitdem nicht wieder aufgetaucht.
    Ich glaube, er ist

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