Die Orangen des Präsidenten
deshalb so brutal geworden, weil er in die grüne Taube verliebt war, genau wie Sami. Vielleicht war sie ja gar keine Taube, sondern ein verzauberter Mensch. Diese grüne Taube war von Anfang an die Prinzessin unter Samis Tauben, so behandelte er sie jedenfalls. Ich fühlte immer, dass sie irgendwie eigenartig war. Sie starrte jeden verängstigt an, der in ihre Nähe kam. Aber wenn Sami dabei war, wurde sie ganz ruhig und zutraulich. Möglicherweise liebte sie ihn auch.
Ich bin sehr traurig, denke aber oft an Samis Worte. Er hat immer gesagt: »Ich habe viele Freunde wegen der dummen Kriege verloren. Ich will nicht so sterben. Ich will wegen etwas Besonderem sterben. Wegen einer Taube zum Beispiel.«
Und er ist wegen einer Taube gestorben. Sei also nicht traurig! Sami hat alles bekommen, was er wollte, sogar noch in seinem Tod.
Ich bin froh, Dir diese Nachricht mitgeteilt zu haben. Auch wenn es mir wahrlich nicht leicht gefallen ist.
Nun lass ich Dich aber in Ruhe!
Nasrijah, Razaq Mustafa
Vierzehntes Kapitel
Revolutionäre
1991
Ich lag den ganzen Vormittag auf der Couch, weniger von Trauer bedrückt, als vielmehr voller Wut. Vor mir lagen Razaqs Briefe auf dem Tisch. Daneben stand ein leeres Teeglas. Ich fegte es mit der Hand herunter und schaute zu, wie es auf dem Boden zersplitterte. Mehrmals wollte ich aufstehen und die Faust gegen die Wand schlagen. Tat es dann aber doch nicht. Weinen konnte ich nicht. Aber mein Herz blutete.
Ich blieb stundenlang im Zimmer sitzen. Ich tat nichts, starrte die Wände an. Nahm dann eine Schlaftablette. In der Abenddämmerung wachte ich trotzdem auf, weil Salven von Schüssen die Stille im Zimmer zerrissen. Männerstimmen jubelten draußen im Chor: »Gott ist groß. Der Diktator ist tot.« Lautes Gejohle der Frauen. Shaker öffnete schwungvoll die Tür meines Zimmers und jauchzte glücklich: »Saddam ist tot.« Und lief rasch nach draußen.
Ich atmete schwer. »So viel auf einmal! Gute Menschen sterben und schlechte, und ich fühle gar nichts«, murmelte ich verwirrt. Der Lärm draußen wurde stärker. Immer mehr Schüsse und Jubelgebrüll. Ich schloss die Augen und stopfte mir die Finger in die Ohren. Wieder öffnete jemand die Tür.Jasim trat ein. Er beugte sich zu mir und küsste mich auf den Scheitel. »Ich weiß, was Sami für dich bedeutet hat. Trauer bringt ihn aber nicht zurück.«
»Ich weiß!«
»Keiner von uns hat sich getraut, dir das zu erzählen. Razaq kam auf die Idee, dir von Samis Tod zu schreiben. Es tut mir leid!«
Ich schwieg.
»Wenn Sami jetzt da wäre, würde er sich sicher über Saddams Tod freuen. Alle Leute freuen sich und feiern auf den Straßen. Komm mit! Lass uns feiern! Es gibt auch einige Aufständische, die mit dir reden wollen. Sie sind im Wohnzimmer. Du bist jetzt ein wichtiger Mann.«
»Wer sind sie?«
»Ich kenne sie alle nicht.«
»Ich will jetzt keinen sehen. Morgen vielleicht. Ich kann jetzt nicht.«
Jasim verließ das Zimmer. Ich schloss meine Augen und versuchte, wieder einzuschlafen.
Später gehe ich auf die Straße. Doch da ist nichts. Keiner mehr da. Um mich herum nur Nebel. In der Ferne erblicke ich die grüne Taube. Sie nähert sich. Und verschwindet. Wieder Leere. Dann Totenstille …
Ich wachte auf. Es war stockdunkel.
Als ich hinunterkam, schaute mich Jasim an. »Und?«
»Es geht mir gut! Warum höre ich draußen nichts mehr?«
»Die Nachricht war nur ein Gerücht. Saddam ist gar nicht tot. Irgendein Hundesohn hat das verbreitet. Und alle haben ihm geglaubt. Ein Aufständischer hat mir erzählt, er habe heute alle seine Kugeln abgefeuert, vor Freude. Und jetzt hat er keine Munition mehr. Seine Kameraden haben wohl auch nicht mehr viel übrig.«
»Das heißt, wenn Saddam mit seiner Armee kommt, können wir mit Steinen gegen ihn kämpfen, oder wie?«
»Was weiß ich! Keine Ahnung!«
Ich verließ das Haus und ging nach draußen. Es war völligfinster und ziemlich kalt. Ich warf einen flüchtigen Blick auf Samis unbeleuchtetes Haus und ging weiter. An der Straßenecke rief mir einer hinterher: »Mahdi! Warte mal!«
Ich drehte mich um und sah Aloan. Ein gläubiger Bursche aus dem Viertel, der ein Jahr in der größten schiitischen Schule Al-Hawzah in der Stadt Nadschaf gelernt hatte. Er wurde meist nach dem Namen dieser Schule gerufen, Aloan Hawzah.
Er umarmte mich und erkundigte sich nach meiner Gesundheit, nach Ali und dem Leben im Gefängnis. Ich antwortete knapp: »Ich will zu Samis Café!«
»Aber
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