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Die Orangen des Präsidenten

Die Orangen des Präsidenten

Titel: Die Orangen des Präsidenten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Abbas Khider
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drangen Schreie und Schüsse an mein Ohr. Ich dachte an Jasims Familie. Wären sie doch nur mit mir geflohen!
    Plötzlich tauchten Bewaffnete auf, ihre Kleider blutverschmiert.Einer rannte auf den Mann mit dem Megafon zu, redete heftig gestikulierend auf ihn ein und nahm ihm das Gerät aus der Hand. »Hört alle zu! Die Aufständischen versuchen, die Armee zu stoppen. Die östliche Seite der Stadt haben wir verloren. Die Truppen sind nun sehr nah. Aber mehr als vier Stunden können wir sie nicht mehr aufhalten. Ihr habt nur noch wenig Zeit, um zu fliehen. Geht weiter zu den Alliierten oder zur Grenze!«
    Der Soldat kehrte mit den anderen in die Stadt zurück. Diese Männer wissen genau, dass sie gegen eine richtige Armee keine Chance haben, dachte ich. Trotzdem gehen sie in den Kampf. Im selben Augenblick durchbrach eine herannahende Rakete meine Gedanken. Sie schlug etwa hundert Meter von mir entfernt zwischen einigen Bäumen ein. Ich warf mich flach auf den Boden und starrte auf eine Gruppe von Palmen, die wie Fackeln brannten. Einige waren bereits völlig verkohlt. Die Menge drängte panisch vorwärts. Ich rappelte mich hoch und stolperte hinterher.
    Die Flüchtlinge liefen Richtung Oase. So nannte man die Gegend im Süden der Stadt, weil es dort Bäume und Brunnen gab. Dort lagerten die amerikanischen Soldaten. Wir marschierten auf einer langen Asphaltstraße. Nur einige Autos mit Familien fuhren an uns vorbei. Oder Esels- und Pferdekarren, ebenfalls mit Familien, die zusammengepfercht auf den Ladeflächen kauerten.
    Nach einer halben Stunde Marsch konnte ich den Kampflärm aus der Stadt fast nicht mehr hören. Bevor wir die Oase erreichten, unterhielten sich zwei alte Damen neben mir. Eine meinte optimistisch: »Die Alliierten und die Amerikaner haben bestimmt alles gehört. Sie werden uns helfen.«
    »Oder sie haben es nicht gehört!«, erwiderte die andere skeptisch. »Mein Sohn hat mir erzählt, sie tragen immer so komische Dinger in den Ohren. Er hat vor einigen Tagen fremde Soldaten in der Oase gesehen. Sie besitzen ein Gerät zum Musikhören. Sie nennen es Discman oder so ähnlich. Dazu singen sie dann meistens, sagt mein Sohn!«
    Wir fanden die ausländischen Truppen in der Oase unter der großen Brücke. Und tatsächlich trugen fast alle von ihnen Kopfhörer auf den Ohren. Als die Soldaten uns sahen, sprangen sie aus ihren Wagen und Panzern, richteten vorsorglich ihre Waffen auf uns und fragten nach Personen, die Englisch konnten. Ich befand mich weit entfernt von dem amerikanisch-irakischen Gespräch. Wie ich später erfuhr, erklärten die alliierten Soldaten, sie könnten ohne Befehl nichts unternehmen. Und sie hätten keinen Befehl. Wir müssten selbst einen Ausweg finden. Sie begannen zu telefonieren. Dann packten sie ihre Ausrüstung zusammen, stiegen in ihre Fahrzeuge und fuhren los. Die Leute rannten hinterher und schrien: »Help, please!« Doch die Soldaten zogen ab. Zwar nicht schnell, aber unaufhaltsam. Aus ihren rollenden Fahrzeugen warfen sie massenweise Beutel. Einen davon bekam ich in die Hände und öffnete ihn. Zum Vorschein kamen Brot, Wurst, Schokolade, Zündhölzer, Kaugummi, Plastikbesteck und ein Taschentuch. Die Leute fanden schnell einen Namen für das eigenartige Päckchen: »Amerikanische Wundertüte«.
    Nachdem ich den Inhalt dieser Amerikanischen Wundertüte genauestens inspiziert hatte, schaute ich mich nach den Soldaten um. Doch sie waren weg. Spurlos in der Wüste verschwunden.
    Einer der Flüchtlinge forderte uns per Megafon auf, die Wüstenstraße Richtung Basra zu nehmen. Dort gäbe es ein großes Lager der Alliierten. 200 oder 250 Kilometer lägen noch vor uns. Ein anderer unterbrach ihn: »Nein! Wir müssen Richtung Smaua. Der Weg ist sicherer.« Also teilte sich die riesige Menschenmenge mitten in der Wüste plötzlich auf. Gruppe Basra und Gruppe Smaua. Ich ließ meinen Blick von der einen Gruppe zur anderen schweifen. Und schloss mich, ohne länger darüber nachzudenken, derjenigen an, die Basra anvisierte.

    Der Wind wehte empfindlich kalt. Dazu war es stockdunkel in der grauen Wüste. Keiner der vielen Flüchtlinge hatte beim Verlassen seines Hauses an eine Taschenlampe gedacht. Trotz der Dunkelheit gelang es uns, zumindest den Weg zu finden, dank der Sterne, die uns leuchteten. Aber die unzähligen Sterne reichten nicht aus, diesen Weg gefahrlos gehen zu können. Die Angst vor unangenehmen Überraschungen wie Schlangen oder Spinnen stieg mit jedem zurückgelegten

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