Die Ordensburg: Elfenritter 1 - Roman
hätte noch die guten Kleider, mit denen sie sich vor einer Ewigkeit aus dem Zelt ihrer Mutter geschlichen hatte.
Die leichten Stiefel, die Lederhose und das Elfenhemd. Sie erinnerte sich jetzt wieder daran, dass sie zu ihrem Vater gewollt hatte, um ihn zu warnen, und wie sie aus dem Zelt ihrer Mutter geschlichen war. Aber was dann geschehen war und wie sie in die Festung der Ordensritter gelangt war, blieb ihr ein Rätsel. Es war, als hätte Luth ein Stück aus ihrem Leben geschnitten …
Mit dem, was sie jetzt trug, war sie nicht gut für die Wildnis gewappnet. Ein Kleid und Sandalen waren kaum die richtige Ausrüstung für eine lange Wanderung durch den Wald. Aber sie musste es trotzdem versuchen. Sie vertraute darauf, was Silwyna sie gelehrt hatte. Sie würde es schaffen!
Unter dem dichten Laubdach der Eichen war die Finsternis fast vollkommen. Gishild lauschte auf die tausend vertrauten Geräusche des Waldes. Sie fühlte sich so wohl, dass sie fast den Schmerz in ihrer Brust vergaß. Sie war frei!
Ihre Augen hatten sich schnell an die Dunkelheit gewöhnt, und sie kam gut voran. Nach etwa einer halben Stunde mischte sich ein neues Geräusch in das leise Konzert des Waldes. Die Bäume lichteten sich. Vor ihr lag der See.
Gishild zuckte mit den Schultern, kehrte zurück in den Wald und hielt sich weiter westlich. Schon bald traf sie erneut auf einen Uferstreifen. Sie fluchte. Eine Halbinsel! Das Klügste wäre es, im Schatten der Bäume dem Verlauf des Ufers zu folgen. So würde sie am schnellsten den Übergang zum Festland finden.
Sie verfiel in einen leichten, ausdauernden Trab. Über dem Wasser wogte grauer Nebel, doch der Himmel war klar, und sie konnte die Sterne sehen. Ihr Weg führte sie immer weiter nach Westen und dann bog das Ufer in südlicher Richtung ab. Sie seufzte. Offenbar stand ihr ein langer Marsch bevor. Der Turm stand an der Südspitze der Halbinsel. Wahrscheinlich
würde sie sich daran vorbeischleichen müssen und dann sehr bald die Verbindung zum Festland finden.
Mit weit ausgreifenden Schritten machte sie sich auf den Weg. Die leise Stimme in ihrem Innern, die sie eines Besseren belehren wollte, ignorierte sie beharrlich.
Zwei Stunden später war es unmöglich, sich länger der Wahrheit zu verschließen. Der Rabenturm stand auf einer Insel! Gishild hätte sich zugetraut, mehr als eine Meile weit zu schwimmen. Doch so weit das Auge reichte, gab es kein anderes Ufer. Sie war gefangen.
Bis zum Morgengrauen saß sie unter einer Ulme, nicht weit vom Turm, und starrte auf die Tür. Mit taufeuchten Kleidern kehrte sie zurück zum Feuer. Auf dem Tisch stand der Ledereimer. Er war jetzt mit Wasser gefüllt. Juztina hockte beim Feuer und sah sie an.
Sie sagte nichts, aber was sie dachte, konnte man in ihren Augen lesen.
»Du hast gewusst, was geschehen würde! Es ging dir gar nicht darum, dass ich Wasser hole. Du wusstest, dass ich fortlaufen würde«, zischte Gishild sie wütend an.
Die Drusnierin raffte sich zu einem müden Lächeln auf.
»Ich dachte mir, wir klären das so schnell wie möglich. Ehrlich gesagt, hatte ich sogar damit gerechnet, dass du dich in deinem Trotz noch für einen oder zwei Tage im Wald verstecken würdest.«
Die Verräterin hatte sie einfach ins offene Messer laufen lassen, begriff Gishild. Und jetzt stand sie wie ein hilfloses Kind da. Sie hatte genau das getan, was man von ihr erwartet hatte, und war gescheitert. Gishild hätte schreien mögen, so zornig war sie.
»Macht es dich glücklich, unseren Feinden eine gute Dienerin zu sein?«
Die Drusnierin reagierte nicht.
»Warst du schon immer eine Verräterin? Wird man dazu geboren, sich gegen die Seinen zu wenden?«, fragte Gishild scheinbar ruhig. Sie würde es schon schaffen ihr zuzusetzen! »Sie stehlen uns die Götter und machen uns zu ihren Knechten. Und du fügst dich einfach so! Ich verachte dich.«
Juztina hob jetzt endlich den Kopf und sah sie lange an.
»Das werde ich aushalten. Deinesgleichen hat mich schon immer verachtet«, sagte sie schließlich.
»Dann musst du ihnen wohl Anlass dazu gegeben haben.«
Die junge Frau nahm die Anschuldigung regungslos hin. Sie schien sie weder zu ärgern noch zu beleidigen. Sie versuchte auch nicht, die Frechheit mit einem Lächeln zu überspielen. Sie saß einfach nur da. Wie ein Stein. Mit jedem Herzschlag wurde Gishild wütender auf sie.
»Dein Mann schätzt dich auch nicht sehr, nicht wahr?«, setzte die Prinzessin nach. Es musste doch möglich sein,
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