Die Ordensburg: Elfenritter 1 - Roman
Lanzac hinaus in die Welt trägst. Dazu haben sie dich erschaffen.« Ein plötzlicher Schmerz ließ den Ritter am ganzen Leib erzittern. Er stieß ein lang gezogenes Röcheln aus. Nur mühsam gewann er die Kontrolle wieder. »Du bist eine Waffe der Anderen. Verweigere dich ihnen! Beweise, dass dir die Menschen etwas gelten, die dich in Liebe aufgezogen haben. Gib dein Leben hin! Geh aus freien Stücken auf den Scheiterhaufen, und dein Opfer wird Wohlgefallen vor Gott finden.«
Luc schluchzte nun ungehemmt. »Ich wollte nicht … Ich …«
Michelle versuchte sich gegen die eindringlichen Worte ihres Ordensbruders zu wappnen. Sie wusste, dass die Predigt und die Kunst des Verhörs seine großen Begabungen waren. Man hatte sie alle auf der Ordensburg geschult. Sie waren die Speerspitze der Kirche. Sie sollten mit Worten überzeugen, und erst wo Worte auf keinen fruchtbaren Grund fielen, war es ihnen erlaubt, der Predigt mit dem Schwerte Nachdruck zu verleihen. Ein kleiner Junge würde niemals der geschliffenen Rhetorik Honorés widerstehen können. Selbst dann nicht, wenn Honoré, dem Tode nahe, sich jedes Wort abringen musste. Alles, was ihr Ordensbruder gesagt hatte, war in sich schlüssig. Er folgte den Vorgaben der Kirche in seiner Argumentation. Trotzdem wollte Michelle ihm nicht
glauben. Schließlich wusste auch sie, wie man ein Verhör führte.
»Meine Eltern waren immer gut zu mir. Sie können nicht …« Unter Tränen versagte Luc die Stimme.
Der schwache Versuch der Verteidigung rührte Michelle. Ihr Herz sagte ihr, dass Luc unschuldig war! Sie durfte nicht zulassen, dass ein Kind starb. Nicht schon wieder. Dieses Mal würde sie kämpfen! Anders als damals in Drusna. Selbst wenn es hieße, sich gegen Honoré und alle anderen zu stellen. Hier geschah Unrecht! Und sie hatte gelobt, ihr Schwert in den Dienst der Schwachen zu stellen. Diesen Eid hatte Honoré wohl schon lange vergessen.
Michelle musterte heimlich ihre Ordensbrüder. Corinne und Frederic waren auf Honorés Seite. Sie hingen förmlich an seinen Lippen. Bei Bartolomé glaubte sie zu spüren, dass er die Art des Verhörs verurteilte. Und Nicolo? Ihn konnte sie nie richtig einschätzen. Er hatte sich immer schon aus allem herausgehalten.
»Tjured ist ein Gott der Gnade«, unterbrach Michelle die Befragung. »Er ist viel gütiger als die heidnischen Götzen, die man in Drusna und im Fjordland verehrt. Wer ihm dient, der sollte im Zweifel immer für den Angeklagten entscheiden.«
Honoré überging den Einwand einfach. »Wirst du deine Seele Gott anvertrauen?«, fragte er den Jungen streng. »Nur wenn du freiwillig den Scheiterhaufen besteigst und dich den läuternden Flammen übergibst, besteht noch Hoffnung für dich.«
Luc sah sie der Reihe nach an. Michelle kannte diesen Blick. Wenn sie alle hart blieben, wenn keiner den Augen des Kindes auswich, dann würde sich der Kleine fügen.
Michelle wusste, sie musste einschreiten, bevor der Junge zusammenbrach und eingestand, was Honoré ihm einzureden
versuchte. Vielleicht würde Luc dem Verhör ja noch ein wenig standhalten … Aber er war verletzt und einsam. Er war kurz davor nachzugeben. Und wenn er selbst seine Schuld aussprach, dann war alles zu spät, dann konnte sie ihn nicht mehr retten. Ein Geständnis konnte nicht zurückgenommen werden, selbst wenn es blanker Unsinn war.
»Und wenn Tjured uns ein Zeichen damit schicken wollte, dass der Junge überlebte?«, warf die Ritterin ein.
Honoré drehte sich zu ihr um. Die Bewegung ließ ihn vor Schmerz keuchen. Wut brannte in seinen Augen. Er versuchte, sie allein mit Blicken zu bezwingen. Sie kannte ihn. Sie würde sich nicht beugen.
»Bartolomé?«, unterbrach Honoré die Stille. »Gehst du mit dem Jungen hinaus? Und Luc, erzähle ihm von deinen Sünden. Du musst deine Seele erleichtern. Dann wird sie gewiss ihren Weg zu Gott finden.«
Sein Gesicht glänzte vor Schweiß. Flüsternd sprach er nach zwei beschwerlichen Atemzügen weiter.
»Du wirst dort mit deinem Vater und deiner Mutter vereint sein. Und mit ihnen wirst du für immer im Chor der Glückseligen singen, wenn du mit reiner Seele vor Tjured trittst. Du willst deine Eltern doch nicht enttäuschen, oder? Sie haben dich in Liebe aufgezogen. Sie haben niemals gewusst, dass du nicht wirklich der warst, den die Lenden … deiner Mutter … geboren … hatten …« Nur noch stockend brachte er die letzten Worte hervor. »Zeige dich der Liebe deiner Eltern würdig! Und rette durch deinen
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