Die Ordensburg: Elfenritter 1 - Roman
geschlagen und flüchtete über die letzte Brücke. Wenn sie ihm nachsetzten, wäre die größte Streitmacht Drusnas ausgelöscht. Ihre Feinde waren demoralisiert, die meisten Truppen in Auflösung begriffen. Es war
die Gelegenheit, ihnen einen Schlag zu versetzen, von dem sie sich nicht mehr erholen würden.
Sie alle sechs waren dort. Sie führten die Schwarze Schar. Eine Elitetruppe der Neuen Ritterschaft. Tollkühne Reiter. Sie hatten das Marientor besetzt. Und vor ihnen lag diese verfluchte letzte Brücke. Sie konnten sehen, wie Kobolde alles für eine Sprengung vorbereiteten. Schwere Pulverfässer waren an den Brückenpfeilern angebracht. Auf der anderen Seite deckten Armbrustschützen und einige Elfen den Rückzug des geschlagenen Heeres.
Hunderte versprengte Krieger waren auf der Brücke. Und ganz zuletzt gingen die Kinder des Guillaumechors. Man hatte sie aus dem Tempelturm des Heiligen nahe dem Ufer geholt und benutzte sie als einen lebenden Schild, um den letzten vernichtenden Schlag der Neuen Ritterschaft abzuwehren. Nur Reiter konnten die Brücke noch schnell genug nehmen, um die Sprengung zu verhindern. Und ihr Angriff würde sie mitten in eine Schar dicht gedrängt stehender Kinder führen. Es war zu eng auf der Brücke. Die Kinder würden unter die Hufe geraten. Das war bei einem Angriff nicht zu verhindern.
Ein metallisch scharrendes Geräusch löschte die Bilder der Vergangenheit. Das stählerne Rad drehte sich im Schloss und riss Funken aus dem Schwefelkies, der im Pistolenhahn steckte.
Michelle blickte in den Abgrund der Mündung. Nichts geschah.
Ein Muskel zuckte in Honorés Wange. Er schloss nicht die Augen, sondern sah dem Unvermeidlichen entgegen. Tjured hatte gegen ihn entschieden. Er hatte die ungeladene Pistole gewählt.
Michelle löste den Hahn ihrer Waffe. Der kleine Splitter
aus Schwefelkies, gehalten von eisernen Klammern, drückte gegen das stählerne Rad, bereit, einen Funkenregen in die Pulverpfanne sprühen zu lassen. Ihr Zeigefinger drückte fester gegen den Abzug. Einen Herzschlag lang sah sie wieder die Kinder in den weißen Chorhemden vor sich. Die spitzengesäumten Festtagsgewänder waren ihre Leichenhemden geworden.
Der Zeigefinger der Ritterin krümmte sich.
BLUTSPUR
Es war nicht leicht, Gishilds Spur vom Waldrand aus zu folgen. Sie war gut darin, sich durch das Dickicht zu pirschen, dachte Silwyna. Sie konnte der Fährte der kleinen Prinzessin nur deshalb nachsetzen, weil sie es war, die sie gelehrt hatte, wie man sich im Wald bewegte. Die Elfe wusste intuitiv, wo ihre Schülerin entlanggegangen sein musste. Sie konnte sich in ihre Gedanken hineinversetzen. Und doch fand sie nur sehr selten einen geknickten Ast oder den halben Abdruck eines Kinderfußes im weichen Boden. Erst als die blasse Morgensonne kurz durch die Wolken blinzelte und die Elfe ein langes blondes Haar an einem Haselnusszweig entdeckte, war sich Silwyna völlig sicher, dass es wirklich die Spur der Prinzessin war, der sie folgte.
Gishild hatte einen weiten Bogen geschlagen. Sie wollte das Lager wohl umgehen. Doch dann war sie auf eine andere Spur gestoßen und tiefer in den Wald eingedrungen.
Die Elfe atmete schwer aus. Die Fährte führte in die Richtung, die sie befürchtet hatte.
»Und?«, drängte König Gunnar ungeduldig.
»Sie ist zum Geisterwald gegangen. Sie hat das aus freien Stücken getan. Niemand war im Lager, um sie zu entführen. «
Die Wangenmuskeln des Königs spannten sich. Die Elfe hörte ihn mit den Zähnen mahlen. Mitten in der Nacht hatte es einen Streit in der Scheune gegeben. Nachdem die Komturin Lilianne sich vorübergehend von den Verhandlungen zurückgezogen hatte, hatte sie nach ihrer Rückkehr unerfüllbare Forderungen gestellt. Ihr dreistes Auftreten schien sogar den Erzverweser verärgert zu haben. Die Verhandlungen waren gescheitert. Und die Ritter hatten sich noch in der Nacht zurückgezogen. Sie hatten den Waldtempel niedergebrannt. Die Bojaren waren außer sich vor Zorn über den Frevel gewesen, aber wirklich gewundert hatte es niemanden. So waren sie, die Jünger Tjureds, sie konnten die Spuren anderer Götter in dieser Welt nicht ertragen. Und sie löschten sie aus, wo immer es ihnen möglich war. Dass sie den Tempel nicht schon früher niedergebrannt hatten, lag vermutlich allein daran, dass sie die Verhandlungen im Dorf nicht mit einer solchen Tat hatten eröffnen wollen.
»Sie wollte zu mir«, stieß Gunnar mit gepresster Stimme hervor.
Silwyna hatte
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