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Die Ordnung der Sterne über Como: Roman (German Edition)

Die Ordnung der Sterne über Como: Roman (German Edition)

Titel: Die Ordnung der Sterne über Como: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Zeiner
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manches immerzu an der Reihe ist, anderes schon seit Jahrzehnten sitzt und blättert und blättert in Illustrierten und endlich ganz vergessen ist.
    Das Land glitt am Zugfenster vorüber, Wolkenschleier flogen in hellen Streifen, darunter vereinzelte Zypressen, die Bögen der Hügel hoben und senkten sich wie Wellen, und immersein eigenes gespiegeltes Gesicht, durch das Italien zog. Italien reiste durch ihn hindurch und hinterließ eine Ahnung. Auf einmal hatte er Lust auszusteigen und, unter einem Baum liegend, mit einer Gitarre auf dem Bauch »Like a Rolling Stone« zu singen, wie sie es früher getan hatten, auf gewitterüberzuckter Waldanhöhe, im röhrenden VW-Bus, den sie sich von Helge geliehen hatten, im Stau, an Ampeln, in heruntergekommenen Hotelzimmern, überall hatten sie ihre Gitarren, singenden Sägen, Kinderkeyboards ausgepackt und gespielt, wie er jetzt dachte, auf ihrer ersten selbst organisierten Tour, die ein finanzielles Desaster gewesen war, ihnen aber zumindest in Insiderkreisen einen gewissen Ruf eingetragen hatte.
    Es war ihnen aber egal gewesen. Foxli – so hatten sie damals einige Zeit geheißen, indem sie sich nach einem Hund aus einem Roman benannten – war es egal gewesen. Auch dass sich in München der Chef eines kleinen, aber ambitionierten Independent-Labels für sie interessierte, war Foxli nicht weiter wichtig gewesen. Der Labelchef hatte ausgesehen wie der Chef eines kleinen, aber ambitionierten Independent-Labels, Mitte zwanzig, landläufig aussieht: schmal, dunkle Hornbrille, Frotteesportjacke mit Kapuze, teure Turnschuhe. Er wirkte, als wäre er immer schon Mitte zwanzig gewesen und als würde er es bis in alle Ewigkeit bleiben. Man müsse sehen, hatte er mit seinem ganz leichten Münchner Akzent gesagt, der aber sympathisch und weich war, sehen müsse man, wie man sie am besten positioniere, eher in Richtung Jazz oder Klangkunst, und mit dem Namen müsse man noch ein wenig hin und her überlegen, der Name sei wichtig, hatte er gesagt, indem er ein nachdenkliches Gesicht aufsetzte, ihr Foxli-Name jedoch präge sich nicht ein.
    »Wie?« Stirnrunzeln, Zurechtrücken der Hornbrille. »Wie, ihr heißt immer anders?«
    Und Marc erklärte ein weiteres Mal, etwas ausführlicher jetzt, dass sie eben immer anders hießen, je nachdem, wie sie sich fühlten, sie ließen sich ungern festlegen, weder auf Jazz noch auf Klangkunst, noch auf einen Namen. Marc lächelte freundlich. Der Labelchef dagegen lächelte unentschlossen, indem er den Kopf schüttelte und dann weiterlächelte, da er die Namensangelegenheit vorsichtshalber als einen Scherz nahm, während man noch mehr Bier bestellte, der Labelchef aber trank Wasser, er rauchte auch nicht.
    So sieht jemand aus, hatte Tom auf einmal und in jäher Gewissheit denken müssen, der Erfolg haben wird, ganz egal, was er macht, gleich, ob er die Anwaltspraxis von Papa übernimmt, ob er Hirnchirurg wird, Pharmamanager oder Chef eines kleinen, aber ambitionierten Indielabels. Gleichzeitig erschrak er vor sich selbst, in der Überlegung, ob ihm Erfolg womöglich per se unsympathisch wäre. Der Labelchef aber ist ihm unsympathisch, dachte er, da ist nichts zu ändern, ohne dass er hätte sagen können, warum.
    Im Tourbus damals war lange darüber diskutiert worden, ob man sich verkaufen sollte, ob sie Foxli verkaufen sollten. Baldur war für aufrechte Verweigerung, grundsätzlich, während Holler, Morgenthal und Zadera für Verkauf plädierten, denn »wenn ich drei Mark verdien,« so sprach Zadera, »mehr wird es gleichwohl nicht sein, ist es mir lieber, als wenn ich gor nix hab«, schloss der Trommler, dessen Wort, wenn es nach langem Schweigen einmal fiel, besonderes Gewicht besaß.
    In Wien gaben sie ihr Abschlusskonzert vor 300 Leuten. Ohne Übertreibung hatte man sagen können, es seien 300 begeisterteLeute gewesen, ein Erfolg also, ihre kleine Tournee, zumal sie von Mal zu Mal besser spielten, verwegener, wilder die Bassläufe, die Schlagzeugeinsätze, enger vernetzt das Rhythmusgeflecht. Aber auch eine große Leere ließen sie zu, minimalisierte Sounds aus Beat und Stimme, aus nur einem Hörspielsample minutenlang, dem sich dann eine dünne Klavierlinie anschloss, filigranes Ukulelengeziepe, das sie so lange im straighten Rhythmus dahinrollen ließen, bis in der Wiederholung die kleinste Abweichung, eine verschobene Betonung der Beckenbewegung oder des Klavierpatterns, eine Lawine auslöste: Der Loop, die scheinbar endlose Wiederholung eines

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