Die Orks 03 - Das Gesetz der Orks
wie ist das möglich?«, fragte Alannah.
»Die Kristalle«, antwortete Lhurian anstelle des Dunkelelfen. »Sie mögen trübe und stumpf geworden sein, aber sie haben noch immer Augen und Ohren.«
Die Elfin sah sich schaudernd um. »Und wer ist dieser Gebieter, der uns angeblich erwartet?«
»Wer wohl?«, maulte Rammar von hinten. »Margok natürlich. Jeder verdammte Finsterling auf dieser Welt heißt Margok. Ist euch das schon mal aufgefallen?«
»Unsinn«, wehrte Alannah ab. »Margok ist tot. Sein Geist wurde vom Dragnadh gefressen. Ihr wart selbst dabei.«
»Der Ork spricht die Wahrheit«, sagte der Dun'ras mit höhnischem Grinsen. »Margok ist unser Herrscher, ihm gehört unser Leben.«
»A-aber das ist unmöglich!« Alannah spürte, wie dunkle Furcht nach ihrem Herzen griff. Nicht so sehr, weil sie sich scheute, dem Bösen ins Antlitz zu blicken – das hatte sie auch schon zu früheren Gelegenheiten getan –, sondern weil sie Angst vor dem hatte, was womöglich noch alles über ihre Vergangenheit ans Licht kommen würde …
Am oberen Ende des Weges gab es ein von Wachen gesäumtes Tor, durch das die Gefangenen in die Festung gelangten. Es ging durch verfallene Säulenhallen, die von Fackelschein beleuchtet wurden, und zum ersten Mal hatte Alannah das Gefühl, dass ihr das eine oder andere vertraut vorkam. Sie verwünschte sich dafür, denn wenn es etwas gab, an das sie sich ganz bestimmt nicht erinnern wollte, dann war es dieser schaurige Ort.
Was, so fragte sie sich, würde sie erst im obersten Turm erwarten? War es tatsächlich Margok, der dort oben lauerte? Hatte der grausame Magier einen Weg gefunden, die Zeiten zu überdauern? Aber wer war dann jener gewesen, der sich des Zauberers Rurak bemächtigt und gegen den sie in Tirgas Lan gekämpft hatten?
Fragen über Fragen, und auf keine davon wusste Alannah die Antwort – obwohl sie mit jedem Schritt, den sie machte, mit jeder Stufe, die sie hinaufstieg, mehr den Eindruck gewann, dass der Schleier, der ihre Vergangenheit verhüllte, dünner wurde. Es kam ihr vor, als brauchte sie nur noch die Hand auszustrecken und das zarte Gespinst zu zerreißen, das von Farawyns Zauber noch geblieben war – dass sie es nicht tat, lag daran, dass sie sich vor der Wahrheit fürchtete.
Denn was war, wenn sie die Wahrheit nicht ertrug? Wenn die Erkenntnis dem Blick in einen tiefen Abgrund glich, aus dem es kein Entkommen gab? Sie begriff, dass dies der Grund war, weshalb Lhurian sie nicht hatte mitnehmen wollen – und sie wünschte auf einmal, auf ihn gehört zu haben, statt ihren Willen einmal mehr durchzusetzen.
Nun jedoch gab es kein Zurück mehr.
Über eine steile Wendeltreppe ging es hinauf in den Turm. Die gerundeten Wände hallten wider vom Schnaufen Rammars und von den schlurfenden Schritten der Gefangenen, und mit jedem Augenblick, der verstrich, steigerte sich Alannahs Anspannung.
Irgendwann endete die Treppe und ging in einen kurzen, von Fackeln gesäumten Gang über, der in die Turmkammer mündete. In dem Augenblick, als Alannah aus dem Korridor trat, wusste sie, dass sie schon einmal an diesem Ort gewesen war.
Die einstmals strahlende Pracht war erloschen und hatte grauer Düsternis Platz gemacht; der Kristall der Wände, die ein weites Achteck bildeten, war von Rissen durchzogen und von Schmutz und Blut besudelt und ließ längst kein Licht mehr durch, und der große Kristall, der im Zentrum des Raumes schwebte, bot nur noch ein Zerrbild seiner einstigen Schönheit.
Aber ohne jeden Zweifel war Alannah schon einmal in der Turmkammer gewesen, vor undenklich langer Zeit …
»Erinnerst du dich, Thynia?«, fragte jemand hinter ihr, und sie fuhr herum. Nicht Lhurian hatte gesprochen, sondern jemand anderes, der ihren Zaubernamen ebenfalls kannte …
Auf der anderen Seite des von flackerndem Feuerschein beleuchteten Oktogons gewahrte Alannah eine unheimliche, in einen dunklen Mantel gehüllte Gestalt. Ihre Hände waren in den weiten Ärmeln und ihr Gesicht war im Schatten einer Kapuze verborgen. Sie näherte sich schleppenden Schrittes, nicht aufrecht gehend, sondern humpelnd und gebeugt wie unter dem Gewicht einer schweren Last.
»Was steht ihr noch herum?«, fauchte Dun'ras Ravok. »Auf die Knie vor unserem Gebieter!«
Alannah und ihre Gefährten bekamen die stumpfen Enden der Hellebarden in die Kniekehlen gerammt. Stöhnend brach Lhurian zusammen und schlug zu Boden, und auch Alannah, die ihm helfen wollte, wurde zu Fall gebracht, ebenso
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