Die Orks 03 - Das Gesetz der Orks
»Derselbe Blick wie damals, und in der Tat bist auch du dieselbe. Noch immer bist du jung und schön – ich jedoch bin alt geworden. Ein Greis, der seine eigene Zeit überdauert hat, ein Relikt aus einer längst vergangenen Epoche, am Leben gehalten von der Kraft der Magie. Jener Magie, die auch in dir wirkt.«
»In mir?« Alannah hob die Brauen. »Was redest du da?«
»Hast du nie gemerkt, dass du über besondere Fähigkeiten verfügst? Dass du in der Lage bist, Dinge zu tun und Zauber zu wirken, die über die Gabe einer gewöhnlichen Elfin weit hinausgehen?«
»Offen gestanden – nein«, erwiderte Alannah vorsichtig, obgleich das nicht ganz der Wahrheit entsprach.
Natürlich war ihr irgendwann aufgegangen, dass sie mühelos kleinere Täuschungs- und Blendzauber wirken konnte, mit denen man beispielsweise zwei nicht mit allergrößter Klugheit gesegneten Orks vorgaukeln konnte, einer der ihren zu sein. Aber sie hatte stets geglaubt, dass derlei Fähigkeiten für die Priesterin von Shakara ganz normal wären …
»Du hast eine magische Begabung«, beharrte Lhurian. »Obwohl du nichts von den Kräften weißt, die in dir schlummern, benutzt du sie dank deiner Intuition. Doch es gab eine Zeit, da wusstest du ganz genau, wie du sie zu gebrauchen hattest.«
»Was für eine Zeit? Wovon sprichst du?« Alannah versuchte ein zaghaftes Lächeln, dabei machte ihr die Gegenwart des alten Zauberers zum ersten Mal Angst.
»Woran entsinnst du dich?«, wechselte Lhurian das Thema. »Wo hast du deine Kindheit, deine Jugend verbracht?«
»An meine Kindheit erinnere ich mich kaum«, gestand Alannah, die sich noch immer nicht denken konnte, worauf all das hinauslaufen sollte.
»Was ist mit deinem Vater? Deiner Mutter? Erinnerst du dich an sie?«
»Natürlich nicht«, entgegnete sie. »Ich bin in der Obhut der Ehrwürdigen Gärten aufgewachsen, wo ich darauf vorbereitet wurde, dereinst das Amt der Hohepriesterin von Shakara zu übernehmen. Dort verbrachte ich den größten Teil meines bisherigen Lebens – dreihundert lange Jahre. Etwas anderes habe ich nie gekannt.«
»Weil Farawyn es so wollte«, bestätigte Lhurian.
»Farawyn? Was hat der Seher damit zu tun?«
»Er war es, der das Stadttor von Tirgas Lan verschloss und den Geist von Margok bannte – und er war es auch, der dafür sorgte, dass das Andenken an die Kristallpforten im Strudel der Zeit verloren ging.«
»Wie?«, wollte Alannah wissen.
Lhurian ließ sich mit der Antwort Zeit. »Einst«, sagte er dann, »habe ich einen feierlichen Eid geleistet, niemals auszusprechen, was ich dir nun verraten werde. Aber ich tue es weder aus Selbstsucht noch aus Eigennutz, sondern nur, um zu vermeiden, dass geschieht, was Farawyn mit aller Macht zu verhindern versuchte.«
»Was bedeutet das?«, fragte Alannah in wachsender Unruhe. Etwas sagte ihr, dass das, was der Zauberer ihr zu enthüllen im Begriff war, sie unmittelbar betraf – und dass es ihre Weltsicht radikal verändern würde …
»Um sicherzustellen«, fuhr Lhurian leise fort, »dass die Kristallpforten niemals wieder dazu benutzt werden können, Tod und Verderben in die Welt der Sterblichen zu tragen, hat Farawyn sie mit einem Bann belegt und versiegelt – und er hat dafür gesorgt, dass die Kenntnis, wie sie zu öffnen sind, der Nachwelt vorenthalten bleibt, indem er jene, die sich des Dreisterns aus bösem Willen heraus bedienten, ohne Ausnahme hinrichten ließ. Die anderen, die um die Pforten wussten – so wie ich – entsagten dem Leben in der Gemeinschaft. Sie legten ein Schweigegelübde ab und gingen freiwillig ins Exil, auf dass sie niemals wieder ein Wort über das Geschehene verlören. Bei wieder anderen«, fügte er nach kurzem Zögern hinzu, »gebrauchte Farawyn seine magischen Fähigkeiten, um ihnen die Erinnerung zu nehmen.«
»Um ihnen die Erinnerung zu nehmen?«, fragte Alannah staunend. »Ist das denn möglich?«
»Manches ist möglich«, erwiderte Lhurian traurig. »Das ist der Vorteil der Magie – und zugleich ihr Fluch.«
»Aber wenn du sagst, dass ich einst über Zauberkräfte verfügte, von denen ich nichts mehr weiß«, folgerte die Elfin, »und wenn es möglich ist, die Magie dazu zu nutzen, einem Elfen oder Menschen die Erinnerung zu rauben …«
Sie brachte den Satz nicht zu Ende, sondern schaute den alten Zauberer fragend an. Einen Augenblick lang schien die Zeit stillzustehen, und ihrer beider Atem schien in der eisig kalten Luft zu gefrieren. Dann nickte Lhurian
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