Die Orks 03 - Das Gesetz der Orks
Bruchstücke der anderen Kristalle knirschten und knackten unter ihren Füßen, als sie darauf trat. Alannah kümmerte sich nicht darum, ihr Blick war starr auf den leuchtenden Splitter gerichtet – aus Furcht, ihn in diesem Meer aus Kristallen zu verlieren und nicht mehr wiederzufinden.
Schließlich stand sie vor ihm, bückte sich und griff danach, und ein wohliges, wärmendes Gefühl durchströmte sie, als sie ihn aufhob. Ein Lächeln der Zuversicht huschte über ihre blassen Züge, denn sie begriff, was sie da gefunden hatte …
Den Splitter des Annun.
Der Kristall war in etwa so lang und so geformt wie die Klinge eines Dolches. Alannah bettete ihn auf beide Handflächen, wandte sich zu Lhurian um, und zum ersten Mal erlebte sie den Zauberer sprachlos – zumindest für den Augenblick.
»Du … du hast ihn gefunden!«, stieß er dann hervor und lachte mit jugendlicher Ausgelassenheit. »Ich hatte also recht.«
»Ich wusste es nicht«, versicherte Alannah flüsternd. »All die Jahre, in denen ich Hohepriesterin dieses Tempels war, hatte ich keine Ahnung davon, dass jener große Kristall das Versteck war für ein noch sehr viel kostbareres Kleinod.«
»Was Vorsehung ist und was nicht, wer vermag das schon zu sagen? Du hast den Splitter gefunden, und nur das zählt. Die Welt darf wieder hoffen.«
»Ist es dafür nicht noch zu früh?«, fragte Alannah. »Der Weg nach Crysalion ist weit und voller Gefahren.«
»Ich weiß – und deshalb werde ich ihn allein gehen.«
»Und ich? Was geschieht mit mir?«
»Sobald ich Kraft geschöpft habe, werde ich dich nach Tirgas Lan zurückbringen, zurück auf deinen Thron und zu deinem Gemahl. Unsere Wege werden sich trennen, Thynia – wie schon einmal …«
23.
AMOUSG PIRAK'HAI
Schaukelnd kämpfte sich das Boot der Orks durch die Brandung.
Dabei rächte sich, dass ausgerechnet der fette und schwere Rammar darauf bestanden hatte, als Anführer vorn im Bug des kalumm zu sitzen, denn so schwappte mit jeder Welle eisig kaltes Wasser ins Boot, und die Plätze tauschen konnten die beiden Orks nicht mehr, dafür war das kalumm zu klein und wäre bei dem Versuch gekentert. Also musste Rammar wohl oder übel Klaue anlegen und Wasser schöpfen, wenn sie nicht kläglich absaufen sollten.
Die Brüder lösten das Problem schließlich, indem sie – sehr zu Rammars Missfallen – das Boot herumdrehten, sodass sich der Schwerpunkt – also Rammar – nunmehr im Heck befand. Auf diese Weise gelang es Balbok, der im Bug kniete und wie von Sinnen ruderte, das kalumm aus den unruhigen Ufergewässern zu manövrieren, hin zu den Inseln, die der Küste vorgelagert waren und deren ausgewaschener Fels bizarre Formen hervorgebracht hatte. Hohe Türme und Bogen aus Stein erhoben sich aus dem Meer, und hier und dort waren Höhlen, Nischen und Vertiefungen entstanden, in denen man mit etwas Phantasie wahre Schreckensbilder erkennen konnte.
Rammar hatte es in dieser Hinsicht nie an Vorstellungskraft gefehlt. Während sich andere junge Orks in der Dunkelheit gesuhlt hatten wie Frischlinge im Schlamm, hatte er stets das Gefühl gehabt, Hirul den Kopflosen, Koruk den Giftpisser und andere grausige Gestalten der orkischen Sagenwelt zu erblicken. Und als das kalumm an den eigenartigen Felsformationen vorüberfuhr, da glaubte der dicke Unhold hier und dort unheimliche Fratzen zu erkennen und garstig grinsende Totenschädel, die die Orks aus dunklen Augenhöhlen zu beobachten schienen.
»Ich weiß nicht«, murrte Rammar verdrießlich, »diese Inseln gefallen mir nicht.«
»Du brauchst keine Angst zu haben«, versicherte Balbok. »Das sind nur lustige Felsen. Der dort sieht wie ein gespaltener Schädel aus. Und schau mal, der da drüben – so stelle ich mir Gulz den Schlächter vor, als er …«
»Hirnfurz, was fällt dir ein?«, fiel Rammar ihm polternd ins Wort. »Ich habe keine Angst, verstanden? Orks aus echtem Tod und Horn haben niemals Angst, geht das in deinen Schädel? Und ein Rammar schon gar nicht!«
»Warum wolltest du dann umkehren, nachdem wir aus den Minen geflüchtet waren?«
»Weil … weil ich … Shnorsh, pass gefälligst auf, wo du hinruderst!«, fuhr der dicke Ork seinen Bruder an. »Wegen dir werden wir noch auf dem Grund des Meeres landen, umbal.«
Balbok verstummte daraufhin, und das Gespräch war – sehr zu Rammars Erleichterung – beendet.
Angst hatte er keine, natürlich nicht, allerdings ein etwas mulmiges Gefühl im feisten Bauch beim Anblick der
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