Die Orpheus-Prophezeiung: Thriller (German Edition)
nach vorn. Instinktiv versuchte sie, sich festzuhalten, doch da war nur leerer Raum. Weit unten traf prasselnd Gestein auf. Sie verlor den Halt. Das Gefühl des freien Falls peitschte die Panik in Mara hoch.
Sie knallte mit dem Rücken gegen harten Fels, und im selben Moment zerplatzten tausend Sterne vor ihr in der Dunkelheit. Ein tiefes Brummen füllte ihren Kopf. Plötzlich war da Helligkeit. Der Schein der Lampe des Padre glitt über sie, aber sie war weit weg, weiter als der Mond am Himmel.
55
Deborah sah Quint über die Schulter, der auf seinem Laptop verschiedene Tasten drückte. Im nächsten Moment war es, als würden sie durch eine Kamera schauen, die über den Erdball sauste, den italienischen Stiefel ins Visier nahm und im nördlichen Bereich auf die Erde stürzte. Neben einem grauen Häusermeer, das wie ein Geschwür mitten im grünen Umland saß, stand in großen Lettern »Firenze«. Kaum war die Kamera zum Stillstand gekommen, wurde der Punkt wieder sichtbar.
Quint ließ das Menü aufklappen. Er klickte, und ein Eingabefenster erschien. Er gab eine lange Zahl ein, drückte auf »Enter«, und das Spiel mit der bewegten Kamera begann von Neuem. Plötzlich war sie wieder über Wien, raste dann aber nach Südwesten und peilte ebenfalls einen Ort in der Toskana an.
»Nordöstlich von Florenz«, sagte Quint. »Haben Sie den Ort dort vermutet?«
»Wir haben ihn überall vermutet«, sagte sie. »Aber dass Mara dort ist, heißt noch nicht, dass sie ihn gefunden hat.«
Er zoomte. Der weiße Strich, der sich wie eine Ader durch die Landschaft zog, wurde breiter. Quint musste in der Vergrößerung das Bild etwas herumschieben, bis er den blinkenden Punkt wiedergefunden hatte. Er befand sich an einer Stelle, wo von der Hauptstraße eine dünnere Linie abging. An der Abzweigung war ein heller Fleck zu sehen.
»Ist das ein Haus?«, fragte Deborah.
Quint schüttelte den Kopf. »Es sieht mir eher wie ein Steinbruch aus. Oder wie ein kleiner Parkplatz aus Kies oder fester Erde.«
Der Punkt blinkte. Mara schien sich nicht zu bewegen.
»Sie hat das Handy weggeworfen, weil sie weiß, dass wir sie beobachten«, sagte Deborah.
»Möglich. Aber hätte sie es dann nicht wenigstens ausgeschaltet?«
»Sie will uns in die Irre führen. Das ist nicht der Ort. Das ist ein x-beliebiger Platz … Wo genau ist es?«
»Ein Stück entfernt liegt ein Ort namens San Martino.«
Deborah beugte sich noch weiter hinunter. Quint wich keinen Millimeter, dabei war sie jetzt nicht mal einen Fingerbreit von seinem Kopf entfernt. Sie wusste, welche Wirkung sie auf ihn hatte. Sie würde sie ausnutzen, wenn es nötig war. Aber nicht jetzt. Noch nicht.
»Gehen Sie zurück zu dem Platz.«
Quint schob das Bild weiter. Der grüne Punkt blinkte.
»Er hat sich bewegt«, rief Deborah. »Auf der Straße.«
»Bei der Geschwindigkeit fährt sie nicht mit dem Wagen«, sagte Quint. »Sie ist zu Fuß unterwegs.«
Es ging quälend langsam voran. Schließlich blieb der Punkt wieder stehen. Mara schien sich mitten im Wald zu befinden. Nur rechts von ihr gab es ein paar hellgraue Flecken.
Deborah deutete darauf. »Was ist das hier?«
Quint klickte weiter. Jetzt hatten sie eine Karte mit Höhenlinien vor sich. Maras Handy blinkte immer noch.
»Eine Steigung. So was wie ein Hügel. Ein kleiner Berg.«
»Zeigen Sie noch mal, wo wir da genau sind. Größerer Maßstab.«
Quint gehorchte und zoomte.
Deborah überlegte fieberhaft. »Beobachten Sie weiter. Ich bin gleich wieder da.«
Sie verließ den Raum und ging in das Zimmer, wo die Dokumente über das Orphiker-Projekt bereitstanden. Sie schlug einen Ordner auf, blätterte ein wenig und hatte bald gefunden, wonach sie suchte.
Als sie den Raum verließ, fiel ihr Blick auf das Sofa. Dort lag etwas, bedeckt von einem schwarzen Tuch. Vorfreude erfasste Deborah.
Mit dem Aktenordner in der Hand kehrte sie zu Quint zurück. Der Laptop zeigte immer noch die Kartenansicht.
Das war es!
Das kleine Gebirge lag zwei Kilometer westlich der Villa Gritti. Deborah war zwei Jahre zuvor dort gewesen. Es war kaum noch etwas davon zu finden außer Grundmauern, überwachsen von Gestrüpp. Alles hatte sich die Natur zurückgeholt. Das Haus, dessen Mauern die Menschen aus der Umgebung seit über hundert Jahren als Steinbruch verwendeten, den großen Park, der sich dahinter erstreckte – und der genau bis zu der Stelle reichte, wo sich die steinigen Hügel erhoben.
Deborah hatte an den Überresten des Herrenhauses
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