Die Orpheus-Prophezeiung: Thriller (German Edition)
tobende Erinnerung an den vergangenen Abend beiseite, stand auf und ging unter die Dusche. Anschließend schlüpfte sie in ihre Alltagsklamotten, die etwas bunter als ihr Outfit auf der Bühne waren: blaue Jeans, ein gelb-grün-rot gemusterter Pullover, Sneaker, eine Lederjacke. Aufs Frühstück konnte sie verzichten. Genau wie darauf, sich mit Chloe zu unterhalten, bevor sie aufbrach. Warum sollte sie nicht einfach alleine losgehen? Und endlich zur Ruhe kommen? Über Johns Tod nachdenken?
Sie verließ das Zimmer, ging Richtung Aufzug. Dort verbrachte sie ein paar Minuten in der geräumigen Ausbuchtung des Flurs. Es war still, irgendwo rauschte eine Lüftung, das war schon alles, aber dann wurde ihr klar, dass hinter diesem Geräusch, in noch größerer Ferne, Stimmengewirr erklang. Sicher aus dem Frühstücksraum oder von der Rezeption. Da war wohl eine Reisegruppe gerade dabei auszuchecken.
Der Fahrstuhl kam und ließ ein einsames Glockengeräusch ertönen. Sie stieg ein, fuhr nach unten, und als sich die Aufzugtüren öffneten, schwappte der ganze Schwall von Lärm über sie.
»Da ist sie! Mara!«
Die Lobby war voller Menschen, die allesamt auf sie losstürmten. Instinktiv drückte sie auf einen der Knöpfe, viel zu langsam schloss sich die Tür. Mara wurde von Blitzlichtgeflacker übergossen. Finger griffen in den Aufzug, dann hatte sich endlich die Fläche aus faltbaren Metallteilen zwischen sie und die Journalisten geschoben, und die Kabine ruckte an. Sie fuhr nun abwärts, nur ganz kurz, ein einziges Stockwerk tiefer.
Sie fand sich in einem von Neonlichtern erhellten Flur wieder, folgte einem Gang und öffnete eine eiserne Tür.
Sie war in der Tiefgarage gelandet.
Vorsichtig sah sie sich um. Offenbar rechnete niemand damit, dass sie hier unten war. Das konnte sich jedoch jeden Moment ändern. Sie rannte an der langen Reihe der abgestellten Fahrzeuge vorbei – der Stelle entgegen, wo Tageslicht hereinfiel. Hier ging es auf die Rampe, die nach draußen führte.
Das Gitter war geschlossen.
Musik erklang in Maras Tasche. Ihr Handy. In dem Moment, in dem sie sich meldete, fiel ihr die Kette auf, die von der Decke hing. Sie zog daran, und rasselnd ging das Tor auf.
»Mara? Wo bist du?«
Es war Chloe. »Was ist das da im Hintergrund? Bist du nicht auf deinem Zimmer?«
»Nein, bin ich nicht.«
»Wo bist du?«
Mara lief die Rampe hinauf. Sie führte auf eine schmale Nebenstraße. Oben angekommen sah sie sich um. Plötzlich rief jemand etwas – ein gutes Stück entfernt.
»Ich bin unterwegs zur Polizei.«
»Da hätten wir doch einen Fahrer bestellen können. Pass auf, dass du nicht den Journalisten in die Finger gerätst. Wir geben nachher eine Pressekonferenz. Die Fernsehsache, wegen der ich gestern mit dir gesprochen habe, ist gestorben. Das heißt, sie ist verschoben …«
Sehr weit entfernt kamen sie um die Ecke gelaufen. Einige hatten schwer zu tragen an ihren Kameras und all dem anderen Equipment. Mara wandte sich der anderen Richtung zu – zur Friedrichstadt hin.
»Sitzt du nicht im Auto?«, rief Chloe. »Bist du etwa auf der Straße?«
»Sie folgen mir.«
»Bist du verrückt?«
Mara erreichte eine größere Straße. Ein Stück weiter standen Taxis. Sie versuchte, eine Lücke im dichten Verkehr zu finden. Gehupe ertönte, Geschrei, quietschende Reifen. Sie stieg in das erste Taxi und knallte die Tür zu.
»Wo soll’s hingehen, junge Frau?«, fragte der Fahrer gemütlich.
»Fahren Sie einfach los.«
»Aber Sie müssen doch wissen, wo es hingehen soll …«
»Geradeaus«, befahl Mara, und als sich das Auto endlich in Bewegung setzte, wurde ihr klar, dass sie auf den roten Knopf gedrückt und Chloe abgewürgt hatte.
Auf der anderen Straßenseite kamen jetzt die Journalisten an. »Haben Sie mit denen was zu tun?«, fragte der Taxifahrer. Mara nickte nur. Im selben Moment ging der Klingelton ihres Telefons wieder los.
»Was ist nun?«, fragte Chloe. »Brauchst du Hilfe?«
Mara erklärte, dass sie im Taxi saß.
»Umso besser. Sieh zu, dass du um zwölf wieder da bist. Die Adresse vom Präsidium hast du? Tempelhof. Platz der Luftbrücke. Tempelhofer Damm. Die Beamten heißen Langner und Teltow.«
Mara gab die Adresse an den Fahrer weiter, und bald wurde das hohe Denkmal der Luftbrücke sichtbar – ein aus dem Boden aufsteigendes flaches Stück Beton, das sich nach oben hin verbreiterte und in drei kleinen Auswüchsen auslief. Mara hatte gehört, dass die Berliner das Werk scherzhaft
Weitere Kostenlose Bücher