Die Orpheus-Prophezeiung: Thriller (German Edition)
treten.
Und diesmal würde es funktionieren.
Während sie im Taxi nach Berlin zurückkehrte, dachte Mara über die eigenartige Begegnung nach. Sie konnte sich nicht an alles erinnern, was der Unbekannte gesagt hatte, aber diese Reden über ein Geheimnis aus ihrer Vergangenheit und dass man sich seinem Schicksal stellen musste, berührten sie an einem sehr persönlichen Punkt. Plötzlich wurde Mara klar, dass sie eigentlich schon seit Jahren auf eine solche Begegnung wartete. Eine Begegnung, die ihr bestätigte, dass es ein Geheimnis in ihrem Leben gab, das über die für viele Waisenkinder übliche Frage, wer die Eltern waren, hinausging.
Seit Mara die Violine bekommen hatte, wusste sie doch, dass es da noch etwas anderes gab. Das Instrument kam nicht einfach so, sondern es kam mit einer Karte mit kurzen Glückwünschen zum achtzehnten Geburtstag. Ohne Unterschrift. Geliefert von einem Paketboten. In das heruntergekommene Haus, das sie damals in Berlin bewohnt hatte.
Sie hatte sich gewundert, hatte es einfach hingenommen, hatte ein Jahr lang hin und wieder darüber nachgedacht, aber dann hatte sich herausgestellt, dass derjenige, dem sie das Instrument zu verdanken hatte, immer noch Anteil an ihr nahm.
Es kam eine weitere Karte. Glückwünsche und der Wunsch nach viel Erfolg als Musikerin. Dabei war damals an eine Karriere noch gar nicht zu denken gewesen.
Von nun an ging es weiter. Der Unbekannte bedachte sie Jahr für Jahr. Als John sie unter Vertrag genommen hatte, versteckten sich die Karten in der üblichen Fanpost. Mara hätte sie fast übersehen, aber sie hatte sich angewöhnt, auf den blassgelben Umschlag zu achten, in dem sie immer steckten.
Natürlich gab es keinen Absender. Keine Adresse. Nur einen Poststempel. Keine bestimmte Stadt. Nur ein Briefzentrum in Deutschland. Es war nicht zurückzuverfolgen, wo die Post herkam.
Sie hatte sich immer wieder gefragt, ob der Kartenschreiber in ihren Konzerten saß. Und sie wartete mehr oder weniger unbewusst stets darauf, dass er auf andere Weise mit ihr Kontakt aufnahm.
Mara verließ das Taxi, zahlte dem Fahrer eine große Summe und tauchte in das Menschengetümmel am Bahnhof ein. Menschenmassen fluteten ihr entgegen. Sie las in den Gesichtern. Ihr kam der Gedanke, ob sie der Unbekannte überwachte.
Sie musste ihre Sachen holen und dann sehen, wie es weiterging. Sie tastete nach dem Schließfachschlüssel, den sie in die Tasche ihrer engen Jeans gesteckt hatte.
Warum das alles jetzt? Viele Dinge geschahen auf einmal gleichzeitig. Als ob jemand beschlossen hätte, dass ihr Leben eine andere Wendung nehmen sollte.
Sie blieb vor einem Schaufenster stehen, in dem Konzertplakate zu sehen waren. Es dauerte einen Moment, bis ihr klar wurde, dass sie sich gerade selbst ins Gesicht blickte. Da hing ihr Plakat. Es war noch nicht ausgetauscht worden. Die Geräuschkulisse des Bahnhofs, das Stimmengewirr, die Schritte, die Durchsagen und akustischen Signale versanken.
Welche Dinge denn?, meldete sich eine andere, skeptische Stimme in Mara.
Johns Tod, der nach wie vor seltsam ist, beantwortete sie die Frage selbst.
Das bildest du dir nur ein. Du könntest dich getäuscht haben.
Und die Begegnung in dem Keller?
Es wusste doch niemand, dass du zu der Stelle fahren würdest, wo John verunglückt ist.
Er muss auf mich gewartet haben, dachte Mara. Er muss gewusst haben, dass ich komme. Weil er sich in mich hineinversetzen kann.
Ein heftiger Stoß brachte Mara in die Wirklichkeit zurück. Sie sah sich um. Da rannte jemand – offenbar um seinen Zug zu erreichen. Mein Gott ja, sie war auf einem Bahnhof.
Sieh erst mal zu, wie es für dich weitergeht, dachte sie. Besorg dir Geld. Eine Unterkunft. Im Moment hast du nicht mal eine Wohnung. Seit sich John um dich kümmerte, hast du immer nur in Hotels gelebt.
Na ja, nicht nur. Am Anfang hatte John ihr eine Wohnung in Köln bezahlt. Ein kleines Refugium, aber immerhin groß genug, dass sich die wenigen Dinge, die sie besaß, darin verloren. Und groß genug, um Geige spielen zu können – Tag und Nacht. Irgendwann hatte sie sich gewundert, warum sich niemand über ihr Üben beschwerte. Und es stellte sich heraus, dass das ganze Haus unbewohnt war. John hatte es kurzerhand gekauft.
Sie sah sich um. Irgendwo musste es hier einen Bankautomaten geben.
Sie fand einen in der Ladenpassage gegenüber einer Reinigung und eines Sonnenstudios, gleich neben einem Sandwichladen. Nachdem sie die Geheimzahl eingegeben hatte, stutzte
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