Die Orpheus-Prophezeiung: Thriller (German Edition)
sondern ein Mann, der die Fäden in der Hand hielt. Der hinter den Kulissen bestimmte, in welche Richtung man marschierte.
Gott schütze uns vor den Privatsekretären, Adjutanten, Assistenten und sonstigen Helfern, dachte Wessely. Vor allem, wenn sie selbst auch noch vorgeben, im direkten Auftrag Gottes zu handeln.
Pater Gregorius beachtete den Bischof kaum, der immer noch schnaufend herumblätterte. »Herr Wessely«, sagte er nur. »Sie sind gekommen. Das ist erfreulich.«
Wessely stand instinktiv auf. Es war unerträglich, von diesem Menschen von oben herab betrachtet zu werden. Man kam sich klein vor. Und das nicht nur in körperlicher Hinsicht: Man fühlte sich minderwertig.
»Bitte schön«, meldete sich der Bischof, »Pater Gregorius, Herr Wessely, tun Sie mir doch einen Gefallen. Kümmern Sie sich doch untereinander um die Dinge.«
»Gerne«, sagte der Pater, ließ Wessely dabei aber nicht aus den Augen. »Wie Eure Exzellenz wünscht.«
»Und tun Sie mir noch einen Gefallen. Schreiben Sie mir eine Notiz, um was es ging. Ich werde sie dann lesen und zur Kenntnis nehmen.« Er wandte sich wieder dem Schreibtisch zu und schien etwas zu suchen. »Ach, und noch etwas. Pater, wo ist denn wieder diese Unterschriftenmappe?«
Pater Gregorius führte Wessely in einen Raum – groß wie ein Tanzsaal, aber leer, mit hohen Fenstern und knarrendem Parkett.
Wessely fragte sich, warum der Bischof nicht hier sein Büro hatte. Wieso saß er in der verstopften Kemenate?
»Dieser Raum war einst das Fürstenzimmer der Residenz«, sagte Pater Gregorius. »Es wird bald restauriert, damit Touristen es besichtigen können. Deshalb musste seine Exzellenz in einen kleineren Raum umziehen. Leider kann ich Ihnen keine Sitzgelegenheit anbieten. Aber hier sind wir ungestört. Und darauf kommt es ja an.«
Wessely nickte. Der Tourismus war eine wichtige Einnahmequelle der Kirche – in Zeiten, in denen kaum jemand noch den Gottesdienst besuchte und der normale Bürger die Gotteshäuser bestenfalls bei Hochzeiten und Beerdigungen von innen sah. »Worum geht es denn nun?«, fragte er.
Der Pater fixierte ihn auf seine unangenehme Art. »Nur keine Ungeduld. Seine Exzellenz mag ein bisschen durcheinander wirken angesichts der vielen Papierarbeit, die auf ihm lastet. Aber seien Sie gewiss – es ist ihm sehr daran gelegen zu erfahren, welche Geistlichen sich in seinem Bistum aufhalten, und er interessiert sich auch für die Aufgaben, denen sie nachgehen.«
Wessely nickte. »Ich verstehe.«
Pater Gregorius’ Miene blieb unbeweglich wie eine Maske. »Und um es kurz zu machen: Der Bischof hat über alle Informationen erhalten, nur über einen Geistlichen nicht.«
»Sie meinen mich, nehme ich an.«
»Sehr richtig.« Der Pater legte die Hände auf den Rücken, beugte sich ein wenig vor und ging ein paar Schritte. »Fassen wir zusammen. Sie sind gebürtiger Österreicher. Sie leben aber im Vatikan. Wenn ich das richtig sehe, haben Sie sogar einen vatikanischen Pass. Sie halten sich seit mehreren Monaten in unserer Alpenrepublik auf. Sie waren in verschiedenen Städten, in verschiedenen Bistümern. Sie haben viele Archive besucht.«
»Ist das etwas Besonderes?«
Der Pater drehte sich um. »Sie haben dort aber über keine kirchlichen Themen geforscht, sondern sich mit antiker Mythologie befasst – einem in unseren Augen ziemlich untheologischen Thema. Welchen Reim kann man sich darauf machen? Sie wirken auf mich wie ein Privatier, der seinen Bildungsneigungen nachgeht, aber nicht wie ein Angehöriger der Kirche, der Sie doch ohne Zweifel sind.«
Der Pater stoppte seine Rede, und Wessely war klar, dass er nun etwas sagen sollte. Die Überheblichkeit, mit der diese rechte Hand des Bischofs ihm entgegentrat, ging ihm immer mehr auf die Nerven.
In unseren Augen ein ziemlich untheologisches Thema …
Welch unfassbare Arroganz. So konnte nur jemand sprechen, der keine Ahnung von der Materie hatte. Es war natürlich unmöglich, seine Thesen, Ideen und bereits erarbeiteten Erkenntnisse hier in diesem Raum zwischen Tür und Angel auszubreiten. Dafür war es noch zu früh. Außerdem würde es ihm nicht gelingen, diesem Pater das alles so aus dem Stand klarzumachen. Nein. Er musste den Ball flach halten. Wenig verraten.
»Reicht es nicht, dass ich Mitglied der Päpstlichen Kommission für christliche Archäologie bin? Ich denke, das dürfte all Ihre Fragen ausräumen. Auch wenn sie damit nicht beantwortet sind. Antworten, das müssen Sie mir
Weitere Kostenlose Bücher