Die Orpheus-Prophezeiung: Thriller (German Edition)
in den Archiven, um ein Verwirrspiel zu entwickeln, das am Ende die Kirche entzweit – und ihr noch mehr Schaden zufügt als der, unter dem sie ohnehin schon zu leiden hat.«
Wessely machte einen Schritt auf den Pater zu. » Sie haben es wissen wollen. Ich hatte nicht die Absicht, es Ihnen mitzuteilen. Ich weiß, welche Auswirkungen das alles haben kann. Aber es ist die Wahrheit.«
Plötzlich lachte der Pater auf. »Die Wahrheit? Was soll uns denn bitte schön diese Wahrheit bringen? Das Ganze ist viele Tausend Jahre her. Was geht es uns an? Was haben wir zu verlieren? Glauben wir doch das, was in der Bibel steht, und bringen es den Menschen nahe. Das allein ist unsere Aufgabe.«
»Die Wahrheit ist Ihnen egal? So zeigen Sie sich also als Wolf im Schafspelz?«
Der Pater rang die Hände. »Aber wir haben die Botschaft. Sie steht geschrieben. Und sie allein ist wichtig.«
»Wichtig. In der Tat. Sie ist sogar das Wichtigste. Aber es wird der Moment kommen, da wird der wahre Messias sein Gesicht zeigen.«
»Wie soll das geschehen?«
Nun war Wessely derjenige, der sein Gegenüber anblickte wie eine Schlange das Kaninchen. Und Pater Gregorius war derjenige, der sich in seinen eigenen Widersprüchen gefangen hatte. Er hatte zugegeben, dass die Heilige Schrift für ihn nur ein Vorwand war. Dass er sie nicht ernst nahm.
»Sie haben es doch selbst gesagt. Der Messias wird wiederkehren«, sagte Wessely.
»Aber das ist doch …«
»Sie glauben nicht daran?«
»Schon, aber … es ist ein Ereignis, das weit in der Zukunft liegt.«
»Woher wollen Sie das wissen?«
»Die Menschen sind schon lange davon überzeugt, dass die Welt bald untergeht. Das sind Probleme, die die Menschen ganz alleine lösen müssen.«
»Davon rede ich auch nicht.«
»Sie meinen, Sie wissen etwas über die wirkliche Wiederkehr? Die tatsächliche?«
»Der Messias, über den ich forsche, soll wiederkehren. Es kann sein, dass er und Jesus Christus ein und dieselbe Person sind – Reinkarnationen, wenn Sie so wollen. Aber was mich ganz besonders interessiert … und das ist es, was mich in den Archiven beschäftigt: Es hat den Anschein, als wandele er bereits unter uns. Und er kann jeden Moment sein wahres Gesicht zeigen.«
18
Als Mara erwachte, hatte sie das Gefühl, ihr Körper sei mit einer dünnen Schicht Eis bedeckt. Sie fröstelte und versuchte, die kratzige und nach muffiger Feuchtigkeit stinkende Decke ein Stück höher zu ziehen. Aber das Laken aus Wolle oder was es war hatte nicht die nötige Länge, und so zog sie die Beine an und verfiel in eine Art Embryonalstellung, um sich wenigstens ein bisschen aufzuwärmen. So hatte sie es die ganze Nacht über immer wieder getan, und sie hatte sich in dieser Stellung so verkrampft, dass ihr Rücken schmerzte.
Sie schlug die klamme Wolle zur Seite und ignorierte die Kälte.
»Morgen, Mara.«
Da stand Jojo, hielt zwei dampfende Tassen in der Hand und lächelte sie an. »Kaffee?«
Mara setzte sich auf und zog die Beine an. Ihre Schlafunterlage war eine rohe Matratze, die auf dem Boden des Bauwagens lag. Jojo hatte auf der anderen Seite der Behausung übernachtet.
»Morgen. Ich hätte nicht gedacht, dass du hier Kaffee machen kannst.«
»Wir können drüben im Haus Wasser heiß machen. Und Kaffeepulver gibt’s auch. Ich hab sogar noch ein paar Brötchen zum Aufbacken gefunden. Und Marmelade …«
Mara nickte und nahm einen Schluck. »Wie spät ist es?«, fragte sie.
»Kurz nach acht. Ich müsste eigentlich in die Schule, aber wo du doch zu Besuch gekommen bist … Man soll sich ja um seine Gäste kümmern, oder?« Jojo grinste.
Mara spürte einen Impuls, der sie selbst überraschte. Sie hätte Jojo am liebsten gesagt, dass das natürlich falsch war. Dass sie in die Schule zu gehen hatte. Dass sie an ihre Zukunft denken sollte. Doch während ihr diese Gedanken durch den Kopf gingen, wurde ihr klar, dass es original dieselben Worte waren, die sie sich früher immer von ihrem Pflegevater hatte anhören müssen.
Jojo strahlte sie an, und es kam Mara vor, als blicke sie in ihr eigenes Selbst, das sie einmal gewesen war.
»Schwänzt du die Schule oft?«, fragte sie.
Jojo verzog den Mund. »Hey, du redest wie eine Erwachsene. Ich mache, was mir passt. Ist doch das einzig Richtige, oder nicht?«
Wie eine Erwachsene. Mara war erwachsen, doch offenbar sah Jojo in ihr etwas anderes …
»Ich find’s gut, dass du noch gekommen bist«, sagte das Mädchen. »Als ich dich da am Taxi gesehen habe,
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