Die Orpheus-Prophezeiung: Thriller (German Edition)
sie die Dateien genau studieren konnte. Und sie musste Kontakt zu diesem Orpheus aufnehmen. Er würde ihr sicher vieles erklären können. Am besten war es, wenn sie telefonierten, wenn sie die Unterlagen las. Oder wenn sie ihm die Sachen mailte.
Wohin jetzt?
Richtung Stadt.
Sie lenkte ihre Schritte über die lange Promenade, die entlang des alten Rheinauhafens entstanden war – ein ganzes Stadtviertel. Nicht nur die drei Kranhäuser gehörten dazu, sondern auch lang gestreckte Gebäude mit Eigentumswohnungen. Die Bewohner lebten nicht ganz so exklusiv wie in den abgewinkelten Riesenhäusern, aber sie hatten immerhin einen wunderbaren Blick auf den Rhein.
Niemand außer ihr war unterwegs. Ein kalter Wind fegte ihr entgegen.
Sie fand eine Passage durch die Häuserzeile, wo sie ein wenig geschützter war.
Am besten wäre es wohl, sich ein billiges Hotelzimmer zu nehmen und dann weiterzusehen. Aber konnte sie sich das leisten?
Ein Kassensturz war angesagt.
Sie drängte sich in einen kleinen Eingang, der hinunter zu einer Tiefgarage führte, und wollte ihr Geld herausziehen. Plötzlich hatte sie das Gefühl, als sei der Rucksack an etwas hängen geblieben. Sie drehte sich um, und da war ein Schatten über ihr.
Sie verlor das Gleichgewicht, drohte die Treppe hinunterzustürzen, versuchte, sich abzufangen. Jemand hielt sie fest und verschloss ihr mit harter Hand den Mund. Ein brutaler Schlag auf die Schläfe ließ Sterne vor ihren Augen explodieren, ihre Füße rutschten über die Kanten der Treppe nach unten. Helles Neonlicht flammte über ihr auf, doch es erlosch, als man ihr etwas über den Kopf stülpte. Endlich löste sich die Hand von ihrem Mund. Sie wollte schreien, aber es ging nicht. Ein bitterer Geschmack breitete sich auf ihrer Zunge aus.
Sie konnte weder Beine noch Arme rühren. Ein typisches Schleifen zeigte ihr, dass eine Wagentür geschlossen wurde. Dann sprang ein Motor an, und alles um Mara vibrierte. Sie kippte nach hinten und stieß sich den Kopf an. Der Schmerz pochte im Rhythmus des Herzschlags durch ihren Körper. Das Geräusch des fahrenden Wagens ertönte dumpf wie von dicker Watte gedämpft. Und verlor sich schließlich ganz.
25
»Mara?«
Sie sah eine Höhle, in die sie hinabsteigen musste, um Tamara zu finden, die in der Dunkelheit verloren gegangen war. Der Weg bestand aus spiralförmigen Gängen, die sich in die Erde gruben. Es war so finster, dass Tamara mit der schwarzen Umgebung verschmolz. Und plötzlich kam Mara die Erkenntnis, dass die Geige ein Symbol für diese Dunkelheit war. Die Dunkelheit in der Welt. Die Dunkelheit des Geistes, in der die Menschen herumirrten. Aber wenn jemand Tamara in die Hand nahm und darauf spielte …
»Mara, hörst du mich?«
Deborahs Stimme.
Sie hörte sie, aber sie wollte sie nicht hören. Deborah spielte irgendein Spiel hinter ihrem Rücken. Lieber wollte sie weiter über Tamara und ihre Geheimnisse nachdenken. Sie hatte doch gerade einen schlüssigen Gedanken gefasst, an den sie anknüpfen konnte. Aber er war ihr wieder entschwunden. Wie ein glitschiger Fisch an Land, dem es durch instinktives Herumschlagen gelang, zurück ins Wasser zu kommen. Unter die Wasseroberfläche, wo er sicher war.
Jemand berührte sie an der Wange. Mara musste mit den Lidern geflackert haben, denn nun sagte Deborah: »Sie scheint aufzuwachen.«
Eine Weile spürte Mara nichts mehr, sie versuchte nur, ihre Gedanken aus den Löchern hervorzuholen.
Ja, das war es – jetzt fiel es ihr wieder ein. Dunkelheit. Tiefste Schwärze. Finsternis, in die die Geige mit ihrem hellen Klang Licht bringen konnte.
Und da brach sich tatsächlich ein Ton seine Bahn durch das Dunkel. Ein Ton von Tamara. Ein Ton ihrer Violine!
Er leuchtete wie ein weißer Laserstrahl. Klar und unerbittlich.
Überrascht schlug sie die Augen auf.
Sie lag auf dem Rücken. Nach und nach wurde das Bild schärfer: eine mit Girlanden bemalte Tapete; eine hohe Decke. Dann tauchte Deborahs Gesicht auf. Erst wirkte es auch verschwommen, doch nach und nach wurde es klar. Und im Hintergrund spielte Mara »Horizons of Harmony«.
»Ich wusste, dass dich das zur Besinnung bringen würde«, sagte Deborah. »Es ist deine eigene Musik. Ein Livemitschnitt von einem deiner Konzerte. Die Aufnahme gefällt mir viel besser als die Studioproduktion.«
Livemitschnitt?, dachte sie. So etwas gab es nicht. Noch nicht. John hatte Konzertalben geplant.
Wo hatte Deborah sie her?
Sie versuchte zu sprechen, aber ein dicker
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