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Die Päpstin

Titel: Die Päpstin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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beseelt
     ist. Die Leute behaupten, er könne eine Diagnose stellen, indem er sich bloß den Urin eines Patienten anschaut!«
    »Lächerlich. Ein Scharlatan.«
    »Offensichtlich. Aber einige von diesen Möchtegern-Ärzten sind ziemlich geschickt. Falls dieser Johannes Anglicus auch nur
     den Anschein erwecken kann, etwas von ärztlicher Kunst zu verstehen, könnte das verheerende Folgen für uns haben.«
    Florus hatte recht. In einem Beruf wie dem ihren, bei dem die Ergebnisse oft enttäuschend und stets unvorhersehbar waren,
     war der Ruf wichtiger als alles andere. Falls dieser Außenseiter den Erfolg hatte, der ihnen versagt geblieben war …
    Ennodius dachte einen Augenblick nach. »Dieser Anglicus studiert den Urin zur Diagnose, sagt Ihr? Nun, dann werden wir ihm
     eine Probe liefern.«
    »Wollt Ihr diesem Außenseiter etwa helfen? Das halte ich für einen großen Fehler!«
    Ennodius lächelte. »Ich sagte, wir liefern ihm eine Probe, Florus. Ich habe aber nicht gesagt, von
wem.«
     
    Von einer Eskorte päpstlicher Wachen begleitet, ging Johanna zum Patriarchum, dem riesigen Palast, der die päpstliche Residenz
     sowie die Vielzahl der Verwaltungs- und Amtsstuben beherbergte, in denen die römische Regierung untergebracht war. An der
     großen Konstantinbasilika mit der prächtigen Reihe rundbogiger Fenster vorbei gingen Johanna und die Wächter sofort ins Patriarchum.
     Drinnen stiegen sie eine kurze Treppe hinauf, die zum
triclinium maius
führte, der Großen Halle des Palastes, deren Errichtung von Papst Leo, seligen Angedenkens, in Auftrag gegeben worden war.
    Der Fußboden der Halle war mit marmornen Platten ausgelegt und mit einer Vielzahl von Mosaiken verziert, die mit solcher Kunstfertigkeit
     gearbeitet waren, daß es Johanna den Atem verschlug. Nie zuvor hatte sie so leuchtende Farben und derart lebensechte Gestalten
     gesehen. Niemand im Frankenreich – kein Bischof, kein Abt, kein Fürst, ja, nicht einmal der Kaiser selbst waren von einer
     solchen Pracht umgeben.
    |344| Eine große Gruppe Männer hatte sich in der Mitte des
triclinium
versammelt. Einer kam zu Johanna herüber, um sie zu begrüßen. Er besaß einen dunklen Teint, schmale, verschwollene Augen und
     einen verschlagenen Gesichtsausdruck.
    »Seid Ihr der Priester Johannes Anglicus?« fragte er.
    »Ja.«
    »Ich bin Benedikt, päpstlicher
missus
und Bruder des Sergius, unseres Heiligen Vaters. Ich habe Euch herkommen lassen, auf daß Ihr die Gesundheit Seiner Heiligkeit
     wiederherstellt.«
    »Ich werde tun, was ich kann«, versprach Johanna.
    Benedikt ließ seine Stimme zu einem verschwörerischen Flüstern herabsinken. »Da drüben sind die Herrschaften, die es Euch
     neiden würden, falls Ihr Erfolg habt.«
    Das glaubte Johanna ihm unbesehen. Viele der dort versammelten Männer waren Mitglieder der erlesenen und exklusiven ärztlichen
     Gesellschaft von Rom. Sie würden einen Außenseiter nicht willkommen heißen.
    Ein weiterer Mann kam zu ihnen herüber – hochgewachsen, dünn, mit stechenden, durchdringenden Augen und gekrümmter Adlernase.
     Benedikt stellte ihn als Ennodius vor, den Vorsitzenden der ärztlichen Gesellschaft Roms.
    Ennodius begrüßte Johanna mit einem kaum wahrnehmbaren Kopfnicken. »Falls Ihr über die erforderlichen Fähigkeiten verfügt,
     werdet Ihr feststellen, daß Seine Heiligkeit sich in den Klauen von Dämonen befindet, deren gefährlicher Griff sich durch
     keine Arznei lösen wird, sondern nur durch Glaube, Hoffnung und Beten.«
    Johanna erwiderte nichts. Sie gab nicht viel auf solche Theorien. Weshalb sollte man sich auf das Übernatürliche berufen,
     wenn es so viele körperliche und damit
erkennbare
Ursachen für Krankheiten gab?
    Ennodius hielt ihr ein Fläschchen mit einer gelben Flüssigkeit hin. »Diese Urinprobe wurde Seiner Heiligkeit vor nicht ganz
     einer Stunde entnommen. Wir alle sind sehr gespannt, was Ihr daraus lesen könnt.«
    Aha,
dachte Johanna.
Ich soll auf die Probe gestellt werden. Na ja, ich würde sagen, das hier ist ein ebenso guter Anfang wie jeder andere.
    Johanna nahm das Fläschchen und hielt es gegen das Licht. Die Gruppe der Ärzte kam herbei und bildete einen Halbkreis |345| um sie. Ennodius’ Hakennase zuckte, als er Johanna aus schmalen Augen mit einem seltsamen Ausdruck gespannter Erwartung beobachtete.
    Johanna drehte das Fläschchen in die verschiedensten Richtungen ins Licht, damit die besondere Beschaffenheit des Inhalts
     deutlich zu sehen war.
Seltsam,
dachte

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