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Die Päpstin

Titel: Die Päpstin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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Johanna schaute Arighis an. »Laßt uns bitte allein.«
    Bevor er das Zimmer verließ, bedachte der Haushofmeister Johanna mit einem dankbaren Blick.
    Sergius begann, und Johanna lauschte mit stummem Mitgefühl dem langen Gefühlserguß aus Leid und Trauer, Bedauern und Reue.
     Angesichts einer derart gepeinigten, belasteten Seele war es kein Wunder, daß Sergius Ruhe und Vergessen zu finden versuchte,
     indem er sich so oft betrank.
    Die Beichte hatte jene Wirkung, die Johanna sich erhofft hatte; nach und nach fiel die wilde Verzweiflung von Sergius ab und
     wich einer tiefen Erschöpfung und Müdigkeit. Jetzt stellte er für sich und andere keine Gefahr mehr dar.
    Doch nun kam der knifflige Teil: das Auferlegen der Buße, die der Vergebung der Sünden vorausgehen mußte. Gewiß erwartete
     Sergius, eine sehr strenge Buße auferlegt zu bekommen – eine öffentliche Kasteiung beispielsweise auf den Stufen des Petersdomes.
     Doch eine derartige Buße würde nur bewirken, daß in Lothars Augen die Stellung Sergius’ und des Papsttums geschwächt wurde,
     und das mußte um jeden Preis vermieden werden. Andererseits durfte die Buße, die Johanna Sergius auferlegte, nicht
zu
leicht sein, oder er würde sie zurückweisen.
    Plötzlich kam ihr eine Idee.»Zum Zeichen der Buße«, sagte sie, »werdet Ihr auf den Wein und das Fleisch aller vierbeinigen
     Tiere verzichten, von dieser Stunde an bis zur Stunde Eures Todes.«
    Das Fasten war eine übliche Form der Buße; doch für gewöhnlich mußte der Sünder nur für einige Monate auf bestimmte Genüsse
     verzichten, allenfalls für ein Jahr. Lebenslange Abstinenz war eine sehr strenge Strafe – besonders für Sergius, der so gern
     in Tafelfreuden schwelgte. Doch die Buße hätte den zusätzlichen Vorteil, daß Sergius nie wieder in betrunkenem Zustand zu
     einem ganz anderen, grausamen und widerwärtigen Menschen würde.
    Sergius senkte demütig den Kopf. »Bete mit mir, Johannes.«
    Sie kniete neben ihm nieder. In vielerlei Hinsicht war Sergius wie ein Kind – schwach, sprunghaft und fordernd. Doch Johanna
     wußte, daß er im Grunde seines Herzens ein guter Mensch war. Und in diesem Augenblick war er alles, was |410| zwischen Anastasius und dem Thron des heiligen Petrus stand.
    Nachdem sie gebetet hatten, erhoben sie sich. Sergius packte Johanna, hielt sie fest.»Geh nicht«, bettelte er. »Ich möchte
     nicht allein sein.«
    Johanna bedeckte Sergius’ Hand mit der ihren. »Ich werde Euch nicht allein lassen«, versprach sie feierlich.
     
    Als Gerold durch das verfallende Portal die Ruine des vestalischen Tempels betrat, sah er voller Enttäuschung, daß Johanna
     noch nicht eingetroffen war.
Nur Geduld,
sagte er sich,
es ist noch früh.
Er setzte sich mit dem Rücken an eine der schlanken Säulen aus Granit, um zu warten.
    Wie die meisten heidnischen Monumente in Rom, war auch dieser Tempel aller kostbaren Metalle beraubt worden: Die vergoldeten
     Rosetten, die einst die Deckenfelder der Kuppel verziert hatten, waren ebenso verschwunden wie die goldenen, erhabenen Reliefs,
     mit denen das Giebeldreieck des
pronaos
geschmückt gewesen war. Die Nischen an den Wänden waren leer; die Marmorstatuen hatte man zu den Kalkbrennöfen gekarrt, um
     Baumaterial für die Wände der christlichen Kirchen daraus zu gewinnen. Seltsamerweise hatte das Standbild der Göttin selbst
     die Stürme der Zeit überstanden: Es befand sich noch in seinem Schrein unter der Kuppel. Eine Hand der Figur war abgebrochen,
     und die Falten des Gewands waren im Laufe der Jahrhunderte von Wind und Wetter aufgerauht, die Konturen verwischt worden.
     Dennoch besaß das Standbild noch immer eine bemerkenswerte Ausdruckskraft und Anmut – uralte Zeugnisse der Kunstfertigkeit
     eines heidnischen Bildhauers.
    Vesta, die römische Göttin von Heim und Herd. Sie symbolisierte alles, was Johanna für Gerold bedeutete: Leben, Liebe, ein
     wiedererwachtes Gefühl der Hoffnung. Er atmete tief durch und nahm die duftende, frische feuchte Luft des Morgens in sich
     auf. Er fühlte sich so gut wie seit Jahren nicht mehr. In letzter Zeit war Gerold bedrückt gewesen und der Eintönigkeit seines
     Lebens müde geworden, ohne sich dagegen zu wehren; er hatte diese Monotonie und Lustlosigkeit als unvermeidliche Auswirkungen
     seiner Jahre betrachtet, denn er wurde bald dreiundvierzig – ein alter Mann.
    Jetzt wußte er, daß er sich geirrt hatte. Er war weit davon |411| entfernt, des Lebens müde zu sein – er war

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