Die Päpstin
sich um ihren freien Willen
winden, zudrücken und ihn ersticken. Verzweifelt versuchte Johanna, diese Umklammerung zu sprengen. »Du kannst es einfach
nicht hinnehmen, stimmt’s? Du kannst den Gedanken nicht ertragen, daß ich nicht bereit bin, um deinetwillen mein jetziges
Leben aufzugeben, nicht wahr? Daß es eine Frau gibt, die deinem berühmten männlichen Charme widerstehen kann?«
Sie hatte ihn verletzen wollen, und es war ihr gelungen.
Gerold schaute sie an, als hätte er eine vollkommen Fremde vor sich. »Ich dachte, du liebst mich«, sagte er steif. »Offensichtlich
war das ein Irrtum. Verzeih mir; ich werde dich nie mehr belästigen.« Er ging zum Portal des Tempels, zögerte, drehte sich
dann noch einmal um. »Das bedeutet, daß wir uns nie wieder sehen. Möchtest du das wirklich?«
Nein!
Johanna hätte es am liebsten laut hinausgeschrien.
Das möchte ich nicht! Lieber möchte ich sterben!
Doch ein anderer Teil ihres Selbst gemahnte sie, diese Worte unausgesprochen zu lassen. »Ja, das möchte ich wirklich«, sagte
sie statt dessen. Ihre Stimme hörte sich an, als käme sie aus weiter Ferne.
Hätte er nur ein einziges weiteres Wort über die Liebe und die Sehnsucht gesagt, wäre sie ihm in die Arme gefallen. Doch er
drehte sich abrupt um und ging durchs Portal. Johanna hörte, wie er die Stufen des Tempels hinunterrannte.
Noch einen Augenblick, und er würde für immer aus ihrem Leben verschwunden sein.
Plötzlich schlug Johanna das Herz bis zum Hals; die Mauern, die sie in ihrem Innern errichtet hatte, stürzten ein, und die
aufgestauten Gefühle brachen sich gewaltsam Bahn.
Sie rannte zum Portal. Gerold ritt im Galopp die Straße hinunter. Einen Augenblick später bog er um eine Gebäudeecke und war
verschwunden.
Tage später, als die Wogen ihrer aufgewühlten Gefühle sich allmählich glätteten, konnte Johanna ruhiger und besonnener |414| darüber nachdenken, was geschehen war. Sie war schrecklich ungerecht gewesen; das war ihr klar. Welche verzweifelte Regung
hatte sie dazu getrieben, Gerold so schreckliche Dinge zu sagen? Als Johanna an ihr Gespräch im vestalischen Tempel dachte,
kam sie sich in den eigenen Augen wie eine Fremde vor.
Das
war nicht sie selbst gewesen.
Aegra amans,
dachte sie. Vergil hatte nur allzu recht: Die Liebe
war
eine Art Krankheit. Sie veränderte den Menschen und bewirkte, daß er sich eigenartig und unvernünftig benahm. Johanna war
froh, daß dieses Thema endgültig für sie abgeschlossen war. Es hatte schrecklich weh getan, sich auf diese Weise von Gerold
zu trennen; nun aber sah sie ein, daß es so auf jeden Fall am besten war.
Natürlich war es so am besten.
Aber warum verspürte sie dann diese schreckliche, schmerzliche innere Leere?
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|415| 24.
Der römische Sommer kam mit aller Macht. Die Sonne brannte erbarmungslos vom Himmel; gegen Mittag waren die Pflastersteine
auf den Straßen so heiß, daß sie einem die Füße verbrannten. Der Gestank von verrottendem Müll und verfaulenden Exkrementen,
der durch die Hitze verstärkt wurde, stieg in die unbewegte Luft und lag als erstickende Dunstglocke über der Stadt. Seuchen
und Fieberepidemien wüteten unter den Armen, die in den klammen, verfallenden Häusern wohnten, die sich am Ufer des Tiber
reihten.
Aus Angst vor Ansteckung hatte Lothar mit seinem Heer die Stadt verlassen. Die Römer jubelten über diesen Abzug, denn die
Verköstigung einer so gewaltigen Armee hatte die Kräfte wie auch die Vorräte der Stadt nahezu erschöpft.
Sergius wurde als Held gefeiert. Die Bewunderung der Menschen half ihm, mit der Trauer über Benedikts Tod fertig zu werden.
Die wiedergewonnene Gesundheit und Energie, die er zum größten Teil der spartanischen Diät verdankte, die Johanna ihm verordnet
hatte, gaben ihm neuen Auftrieb, ja, sie machten einen anderen Menschen aus ihm. Wie er es versprochen hatte, ließ er den
Wiederaufbau des Orphanotrophiums in Angriff nehmen. Die verfallenden Wände wurden verstärkt und ein neues Dach errichtet.
Vom heidnischen Tempel der Minerva wurden die Ziegel, die aus feinstem Travertinmarmor bestanden, abgerissen und als Fußbodenfliesen
für die Große Halle des Patriarchums benutzt. Eine neue Kapelle wurde gebaut und dem heiligen Stephan geweiht.
War Sergius früher oft zu müde oder zu krank gewesen, um die heilige Messe zu lesen, so feierte er nun jeden Morgen den Gottesdienst.
Überdies sah man ihn oft in seiner
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