Die Päpstin
hungrig darauf. Er fühlte sich vital und voller Leben, als hätte er aus dem sagenhaften
Jungbrunnen getrunken. Die Jahre, die noch vor ihm lagen, waren nicht mehr grau, sondern strahlten in leuchtenden Farben und
waren voller Versprechen. Er würde Johanna heiraten, und dann würden sie nach Benevento ziehen und dort in Frieden und Liebe
zusammenleben. Vielleicht waren ihnen sogar Kinder vergönnt – noch war es nicht zu spät dafür. So, wie Gerold sich im Augenblick
fühlte, erschien ihm nichts unmöglich.
Er fuhr zusammen, als Johanna plötzlich durchs Portal geeilt kam. Ihr Priesterumhang bauschte sich hinter ihr, und ihre Wangen
waren vor Anstrengung vom schnellen Laufen gerötet; ihr kurzgeschnittenes, weißgoldenes Haar fiel ihr lockig in die Stirn
und betonte die tiefliegenden Augen; es waren Augen, die Gerold wie Seen aus Licht in einem dunklen Heiligtum anzogen. Wie,
um alles in der Welt, hatte sie sich so lange unentdeckt als Mann verkleiden können? In seinen wissenden Augen sah sie sehr
weiblich und sehr begehrenswert aus.
»Johanna.« So, wie er das Wort aussprach, war es einerseits ein Name, andererseits ein Flehen.
Johanna hielt vorsichtigen Abstand zwischen ihnen beiden. Sie wußte, daß ihr letzter Widerstand schmelzen würde, wenn sie
sich in Gerolds Umarmung verlor.
»Ich habe ein Pferd für dich mitgebracht«, sagte er. »Wenn wir sofort losreiten, können wir in drei Tagen in Benevento sein.«
Sie holte tief Luft.»Ich gehe nicht mit dir.«
»Aber … wieso?«
»Ich kann Sergius nicht allein lassen.«
Für einen Moment war er zu betroffen, als daß er irgend etwas hätte erwidern können. Dann brachte er mühsam hervor: »Warum
nicht?«
»Er braucht mich. Er ist … schwach.«
»Er ist der
Papst
, Johanna, und kein Kind, das bemuttert werden muß.«
»Ich bemuttere ihn nicht; ich kümmere mich um seine Gesundheit. Die Ärzte von der
scola
wissen nichts über die Krankheit, an der er leidet.«
»Und welche Krankheit ist das?«
|412| »Falls ich ihn jetzt allein lasse«, erwiderte Johanna, »wird Sergius sich binnen eines halben Jahres zu Tode trinken.«
»Dann laß ihn doch. Es ist sein Leben«, sagte Gerold grob. »Was hat das mit uns beiden zu tun?«
Sie blickte ihn schockiert an. »Wie kannst du so etwas sagen?«
»Großer Gott, haben wir nicht schon genug geopfert? Der Frühling unseres Lebens liegt bereits hinter uns. Laß uns jetzt nicht
die Zeit verschwenden, die uns noch bleibt!«
Johanna wandte sich ab, damit er nicht sehen konnte, wie tief seine Worte sie getroffen hatten. Gerold trat zu ihr und packte
ihr Handgelenk.
»Ich liebe dich, Johanna. Komm mit mir – jetzt, wo noch Zeit ist.«
Die Berührung seiner Hand prickelte ihr auf der Haut und entfachte ihr Verlangen. Sie hatte den gefährlichen Wunsch, ihn zu
umarmen, seine Lippen auf den ihren zu spüren. Dann aber – peinlich berührt von ihrer Schwäche und ihren schändlichen Gefühlen
– überkam sie ein plötzlicher, unerklärlicher Zorn auf Gerold. »Was erwartest du eigentlich von mir?« rief sie. »Daß ich mit
dir durchbrenne wie ein verliebtes junges Mädchen, wenn du bloß mit dem kleinen Finger winkst? Ich habe mir hier ein Leben
aufgebaut – ein schönes Leben. Ich bin unabhängig, frei im Handeln und Denken. Ich werde geachtet und gebraucht. Ich habe
hier Möglichkeiten, von denen andere Frauen nicht einmal träumen können. Warum sollte ich das alles aufgeben? Wofür? Um den
Rest meines Lebens in irgendeiner dunklen, beengten Wohnung mit Kochen und Nähen zu verbringen?«
»Wenn ich von einer Frau nicht mehr erwarten würde«, sagte Gerold leise, »wäre ich längst wieder verheiratet.«
»Dann heirate doch!« erwiderte Johanna heftig. »Ich werde dich nicht aufhalten!«
Gerold schüttelte langsam den Kopf. Mit ruhiger Stimme fragte er: »Was ist geschehen, Johanna? Mit dir stimmt doch etwas nicht.«
»Ich habe mich verändert, das ist alles. Ich bin nicht mehr das naive und liebeskranke Mädchen, das ich in Dorstadt gewesen
bin. Ich bin jetzt mein eigener Herr. Und das werde ich nicht aufgeben – nicht für dich, und nicht für sonst einen Mann!«
|413| »Habe ich dich darum gebeten?« entgegnete Gerold mit ruhiger Stimme.
Doch Johanna war jetzt keinen sachlichen Argumenten mehr zugänglich. Gerolds Nähe, seine Freundlichkeit, sein Verständnis,
seine starke körperliche Anziehungskraft waren eine Qual für sie; es war, als würde eine Schlange
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