Die Päpstin
Dieser hier wurde mir
vom Bischof anvertraut, als er mich zur Missionsarbeit in Sachsen auserwählte.«
Das Essen war ausgezeichnet; es war die üppigste Mahlzeit, welche die Familie je einem Gast bereitet hatte. Es gab ein knusprig
gebratenes, mit Salz gewürztes Lendenstück vom Schwein, dazu gekochten Dinkel und rote Bete, scharfen grünen Käse und Scheiben
von dem dunklen Brot, das frisch in den glühenden Holzscheiten im Herd gebacken worden war. Der Dorfpriester schenkte fränkisches
Bier aus, würzig, dunkel |44| und dickflüssig wie Suppe. Nachher aßen sie geröstete Mandeln und süße gebratene Äpfel.
»Köstlich«, sagte Aeskulapius am Ende des Mahls. »Es ist lange her, daß ich so gut gegessen habe. Seit meiner Abreise aus
Byzanz habe ich kein so wohlschmeckendes Schweinefleisch mehr genossen.«
Gudrun war erfreut. »Es liegt daran, daß wir unsere eigenen Schweine halten und sie mästen, bevor sie geschlachtet werden.
Das Fleisch der Schweine aus dem Schwarzwald dagegen ist zäh und unappetitlich.«
»Erzählt uns von Konstantinopel!« bat Johannes voller Begeisterung. »Stimmt es, daß die Straßen dort mit kostbaren Steinen
gepflastert sind und daß flüssiges Gold aus den Brunnen sprudelt?«
Aeskulapius lachte. »Das nicht gerade. Aber Byzanz bietet in der Tat einen herrlichen Anblick.« Johanna und ihr Bruder lauschten
mit offenem Mund, als der Besucher ihnen nun die Stadt am Bosporus beschrieb, die sich auf einem hohen Vorgebirge ausbreitete
– mit ihren Bauwerken aus Marmor, von Kuppeln aus Gold und Silber gekrönt, die sich mehrere Stockwerke hoch erhoben und über
dem Hafen am Goldenen Horn aufragten, in dem Schiffe aus der ganzen Welt vor Anker lagen. In dieser Stadt war Aeskulapius
geboren, und hier hatte er seine Jugend verbracht. Dann war er zur Flucht gezwungen worden, als seine Familie in einen religiösen
Streit mit Basileus verwickelt wurde – ein Streit, der irgend etwas mit der Zerstörung von Heiligenbildern zu tun gehabt hatte.
Johanna verstand nicht, was damit gemeint war, wohl aber ihr Vater, denn er nickte mit ernster Mißbilligung, als Aeskulapius
schilderte, wie man seine Familie verfolgt hatte.
Dann wandte das Gespräch sich theologischen Fragen zu, und die sich sträubende Johanna und ihr Bruder wurden in jenen Teil
des Hauses gebracht, in dem die Eltern schliefen; als geehrter Gast sollte Aeskulapius das große Bett in der Nähe des Herdes
für sich ganz allein bekommen.
»Bitte, bitte, darf ich nicht bleiben und zuhören?« bettelte Johanna ihre Mutter an.
»Nein. Es wird höchste Zeit, daß du ins Bett kommst. Außerdem erzählt unser Gast jetzt keine Geschichten mehr. Und diese Gelehrtengespräche
dürften dich kaum interessieren.«
»Aber …«
|45| »Schluß jetzt, Kind. Ab ins Bett. Morgen früh brauche ich deine Hilfe. Dein Vater möchte, daß wir seinem Besucher ein weiteres
Festmahl bereiten.« Sie seufzte und fügte murmelnd hinzu: »Wenn noch mehr solche Gäste kommen, müssen wir bald am Hungertuch
nagen.« Sie bettete die Kinder auf die strohgedeckte Pritsche, küßte die beiden und ging.
Johannes schlief rasch ein. Johanna aber lag wach und versuchte zu hören, was die Stimmen auf der anderen Seite der dicken
hölzernen Trennwand sagten. Schließlich wurde die Neugier so stark, daß Johanna vom Strohlager stieg und über die Trennwand
hinwegkroch. Auf der anderen Seite kniete sie nieder und spähte aus der Dunkelheit dorthin, wo ihr Vater und Aeskulapius am
Herdfeuer saßen und sich unterhielten. Es war bitterkalt; die Wärme der Flammen reichte nicht bis zu dem kleinen Mädchen.
Außerdem trug Johanna nur ein dünnes Hemdkleid aus Leinen. Sie schauderte, zog aber nicht einmal in Betracht, wieder ins Bett
zu gehen; sie
mußte
hören, was Aeskulapius sagte.
Das Gespräch hatte sich der Mainzer Domschule zugewandt, und Aeskulapius fragte den Dorfpriester soeben: »Könnt Ihr mir etwas
über die dortige Bibliothek sagen?«
»O ja«, erwiderte der Dorfpriester, offensichtlich erfreut darüber, daß ihm diese Frage gestellt worden war. »Ich habe dort
viele Stunden verbracht. Die Bibliothek umfaßt eine hervorragende Sammlung von Bänden, mehr als fünfundsiebzig alte Codices.«
Aeskulapius nickte höflich, wenngleich er nicht beeindruckt zu sein schien. Johanna aber konnte sich so viele Bücher an ein
und demselben Ort gar nicht vorstellen.
Der Dorfpriester sagte: »Es gibt dort Abschriften von
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