Die Päpstin
und die Quattro Coronati,
an der Leo einst Kardinal gewesen war.
Doch das bedeutendste Vorhaben Papst Leos war der Wiederaufbau der Peterskirche. Der verbrannte und geschwärzte Säulengang
wurde vollkommen neu errichtet; die Türen, von den Sarazenen ihres kostbaren Metalls beraubt, wurden mit neuen, schimmernden
Platten aus Silber versehen, in die mit erstaunlicher Kunstfertigkeit Abbildungen aus ungezählten Heiligengeschichten eingraviert
waren. Die Schätze, die von den Sarazenen geraubt worden waren, wurden ersetzt. So erhielt der Hochaltar eine neue Verkleidung
aus Gold- und Silberplatten; außerdem wurde er durch ein Kruzifix aus massivem Gold verziert, das mit kostbaren Perlen, Smaragden
und Brillanten besetzt war; über diesem Kreuz wurde ein großes silbernes Tabernakel von mehr als einer Tonne Gewicht auf vier
riesige Säulen aus feinstem Travertinmarmor aufgesetzt, die mit goldenen Lilien verziert waren. Der Altar wurde von Lampen
beleuchtet, die an Ketten aus Silber hingen und mit Kugeln aus Gold verziert waren; ihr flackerndes Licht erleuchtete eine
wahre Schatztruhe aus edelsteinbesetzten Kelchen, geschmiedeten silbernen Chorpulten, prächtigen Bildteppichen und feinsten
Wandbehängen aus Seide. Die Kirche erstrahlte in einem neuen Glanz, der selbst die frühere, von den Sarazenen zerstörte Pracht
in den Schatten stellte.
Als Johanna beobachtete, welche ungeheueren Geldsummen für den Wiederaufbau aus der päpstlichen Schatzkammer |470| strömten, stieg Unbehagen in ihr auf. Es war nicht zu leugnen, daß Leo ein neues Heiligtum von ehrfurchtgebietender Schönheit
hatte errichten lassen. Doch die Mehrheit der Römer, die in der Nähe dieser funkelnden Pracht wohnten, mußten ihr Leben in
jämmerlicher, erniedrigender Armut verbringen. Nur eine einzige von den massiven silbernen Platten an den Türen von Sankt
Peter, in Münzen gegossen, hätte die gesamte Einwohnerschaft des Stadtteils Campus Martius ein Jahr lang ernähren können.
Erforderte die Verehrung Gottes wirklich so große Opfer?
Es gab nur einen Menschen auf Erden, dem Johanna eine solche Frage anzuvertrauen wagte. Gerold dachte lange und gründlich
darüber nach, bevor er antwortete.
»Ich habe mal irgendwo gelesen«, sagte er, »daß die Schönheit eines heiligen Schreines dem Gläubigen eine andere Form von
Nahrung gibt – nicht für den Körper, sondern für die Seele.«
»Es ist schwer, die Stimme Gottes zu hören, wenn einem der Magen knurrt.«
Gerold blickte Johanna liebevoll an und schüttelte den Kopf. »Du hast dich nicht verändert. Kannst du dich noch daran erinnern,
wie du Odo gefragt hast, weshalb man sicher sein könne, daß Christus auferstanden sei, wo es doch niemand gesehen hat?«
»Ja.« Reumütig spreizte Johanna die Hände. »Ich kann mich auch erinnern, auf welche Weise Odo geantwortet hat.«
»Als ich die Wunden auf deinen Handflächen sah«, sagte Gerold, »hätte ich ihn am liebsten erschlagen – und ich hätte es getan,
wäre ich mir nicht im klaren darüber gewesen, daß dadurch alles nur noch schwerer für dich geworden wäre.«
Johanna lächelte ihn an. »Du warst immer schon mein Beschützer.«
»Und du«, sagte er grinsend, »hattest immer schon die Seele einer Ketzerin.«
So wie jetzt – frei von allem Mißtrauen, allen Einschränkungen und allen Ängsten – hatten sie schon immer miteinander reden
können, solange sie sich kannten. Es war ein Teil jener besonderen Vertrautheit, die sie füreinander empfanden und die sie
von Anfang an gespürt hatten. Gerold schaute Johanna voller Liebe und Wärme an, und sie fühlte seine Blicke beinahe körperlich,
so, als würde er ihre nackte Haut berühren. |471| Doch inzwischen war sie sehr erfahren, wenn es darum ging, ihre Gefühle zu verbergen.
Sie zeigte auf einen Stapel Bittschriften, der vor ihnen auf dem Tisch lag. »Ich muß jetzt gehen und mir diese Bittsteller
anhören.«
»Ist das nicht Papst Leos Sache?« fragte Gerold.
»Er hat mich gebeten, daß ich mich darum kümmere.«
In letzter Zeit hatte Leo immer mehr von seinen alltäglichen Aufgaben an Mitarbeiter übertragen, so daß er sich um so eingehender
mit seinen Plänen für den Wiederaufbau der römischen Kirchen beschäftigen konnte. Johanna war zu einer Art Botschafterin Leos
für die Römer geworden; mittlerweile war sie ein vertrauter Anblick, wenn sie in den verschiedenen Stadtteilen ihren wohltätigen
Aufgaben nachging, so daß
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