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Die Päpstin

Titel: Die Päpstin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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besorgt.
Was kann ich für ihn tun?
    »Der Schock einer gewaltsamen Verletzung kann einen Menschen töten, weil er einen alles durchdringenden Kälteschauer hervorruft,
     der sich aus dem Innern des Körpers ausbreitet …«
    Diese Worte des Hippokrates, die Gottschalk einst das Leben gerettet hatten, fielen ihr wieder ein.
    Sie mußte Gerold wärmen, und zwar schnell.
    Das Boot hatte ein klaffendes Loch in die Holzwand der
insula
gerissen, durch das nun der Wind jagte und den Regen vor sich her peitschte. Johanna erhob sich und begann, das Innere der
     winzigen Mietskaserne zu durchsuchen. Hinter dem vorderen Zimmer, das zum Tiber hinaus lag, befand sich ein zweiter, kleinerer
     Raum, der keine Fenster besaß und in dem es deshalb wärmer und trockener war. Und –
Deo gratias!
– in der Mitte dieses Zimmers befand sich ein kleines eisernes Kohlenbecken, auf dem ein paar Holzstücke lagen. Auf einem
     Regal in der Nähe entdeckte Johanna einen Feuerstein und |505| eine Schachtel Anzündmaterial. In einer Kiste in einer Ecke des Zimmers fand sie eine dicke Wolldecke, die zwar schon ziemlich
     verschlissen, aber Gott sei Dank noch trocken war.
    Johanna kehrte in das vordere Zimmer zurück und packte Gerold unter den Schultern. Halb trug, halb schleifte sie ihn ins Hinterzimmer
     und legte ihn neben dem Kohlenbecken behutsam zu Boden. Dann nahm sie die Schachtel mit dem Anzündmaterial und schlug mit
     dem Feuerstein an das Eisen. Ihre Hände zitterten so heftig, daß sie es mehrmals versuchen mußte, bis Funken sprühten. Schließlich
     aber gelang es ihr, den kleinen Strohhaufen zu entfachen. Rasch legte sie das brennende Anzündmaterial auf den Kohlenherd,
     bis die Flammen in die Höhe schlugen und nach den Holzscheiten leckten. Das feuchte Holz zischte und spuckte; es wollte kein
     Feuer fangen. Dann aber erschien ein winziger roter Glühpunkt auf einem der Scheite. Johanna pustete behutsam darauf und nährte
     das Flämmchen mit viel Übung und Geschick. Doch in dem Augenblick, als das Feuer aufloderte, fuhr ein Windstoß durchs Zimmer
     und blies es aus.
    Verzweifelt betrachtete Johanna die kalten Holzscheite. Das Anzündmaterial war aufgebraucht; es gab keine Möglichkeit mehr,
     das Feuer noch einmal zu entfachen. Gerold lag noch immer bewußtlos am Boden. Sein Gesicht hatte einen beängstigenden, bläulich-weißen
     Farbton angenommen, und die Augen waren tief in die Höhlen eingesunken.
    Es blieb nur noch eine Möglichkeit. Rasch zog Johanna ihm die nassen Sachen aus und entblößte seinen straffen, muskulösen
     Körper, der hier und da von verblassenden Narben aus Kämpfen und Schlachten gezeichnet war. Dann legte sie ihm die Decke über.
    Sie erhob sich und begann, in der kalten Luft im Zimmer ihre eigenen durchnäßten Sachen auszuziehen: zuerst das Priestergewand
     und die Tunika; dann die Unterkleidung, die Albe – das weiße liturgische Untergewand –, das Humerale – das Schultertuch –,
     und das Cingulum, den Gürtel des Priestergewands. Als sie bis auf die Haut entkleidet war, kroch sie unter die Decke und kuschelte
     sich an Gerold.
    Sie drückte ihn an sich, wärmte seinen Körper mit dem ihren und versuchte, durch die bloße Kraft des Willens ihre Stärke und
     Lebensenergie in ihn einfließen zu lassen.
    Kämpfe, Gerold, mein Liebster. Kämpfe!
    |506| Sie schloß die Augen und konzentrierte sich darauf, die Verbindung zwischen ihnen beiden herzustellen. Alles andere war vergessen.
     Das kleine Zimmer; das erloschene Feuer; das Boot; der Sturm und der Regen, die draußen tobten – nichts mehr war real. Es
     gab nur noch sie beide. Sie würden gemeinsam überleben oder sterben.
    Gerolds Lider zuckten. Reflexhaft bewegten sich seine Hände, als wollten sie einen unsichtbaren Schleier zur Seite zerren.
     Im gleichen Moment sah Johanna ein lockendes Licht in der Finsternis und eilte mit Gerold darauf zu. An einem fernen Ort tauchten
     sie gemeinsam aus der Dunkelheit auf.
    Und Gerold erwachte. Seine indigoblauen Augen betrachteten Johanna ohne jedes Erstaunen; er wußte, daß sie bei ihm gewesen
     war.
    »Mein Schatz«, flüsterte er.
    Lange Zeit lagen sie schweigend da – in einem Gespräch vereint, für das man keine Worte brauchte. Dann hob er einen Arm, um
     Johanna näher zu sich heranzuziehen; seine Finger berührten die wulstigen Narben auf ihrem Rücken.
    »Stammt das von einem Rohrstock?« fragte er leise.
    Sie errötete. »Ja.«
    »Wer hat dir das angetan?«
    Langsam und stockend

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