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Die Päpstin

Titel: Die Päpstin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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Fluß.«
    »Es ist einen Versuch wert«, sagte Johanna drängend. »Wir können schließlich nicht tatenlos zusehen, wie die Menschen ertrinken!«
    Gerold schaute sie mit einem Blick an, aus dem Liebe und Bewunderung zugleich sprachen. Weder Gregor noch Sergius, ja, nicht
     einmal Leo hätten sich so für die verarmten Einwohner des Campus Martius eingesetzt. Johanna war anders; sie machte keinen
     Unterschied zwischen arm und reich, und dementsprechend handelte sie auch. In ihren Augen verdienten alle Menschen die gleiche
     Aufmerksamkeit und Zuwendung.
    »Ich lasse sofort die Miliz zusammenrufen«, sagte Gerold.
    Sie marschierten zu den Anlegestellen in Ripa Grande, wo Johanna ihre Befehlsgewalt einsetzte und jedes brauchbare Wasserfahrzeug
     für die Rettungsaktion requirierte. Gerold und seine Männer stiegen in die Boote, und Johanna sprach rasch einige Segensworte,
     wobei sie die Stimme erheben mußte, um das Rauschen des Regens zu übertönen. Dann überraschte sie alle Anwesenden, indem sie
     zu Gerold ins Boot stieg.
    »Was tut Ihr, Heiligkeit?« stieß er entsetzt hervor und benutzte |501| die förmliche Anrede – wie stets, wenn sie nicht unter vier Augen waren.
    »Was glaubt Ihr wohl?«
    »Ihr wollt doch nicht etwa mit uns kommen?«
    »Warum nicht?«
    Gerold blickte sie an, als hätte er eine Verrückte vor sich. »Das ist viel zu gefährlich!«
    Eustathius, der Erzpriester, warf Johanna vom Kai aus einen tadelnden Blick zu. »Denkt an die Würde Eures Amtes, Heiligkeit!
     Ihr seid der Papst und der Bischof von Rom. Wollt Ihr da Euer Leben für ein paar zerlumpte Bettler aufs Spiel setzen?«
    »Sie sind um nichts weniger die Kinder Gottes als Ihr und ich, Eustathius.«
    »Aber wer soll uns bei der Litanei vorbeten?« fragte er klagend.
    »Das werdet Ihr übernehmen, Eustathius. Macht Eure Sache gut; denn in dieser Notlage brauchen wir Eure Gebete dringend.« Ungeduldig
     wandte sie sich an Gerold. »Was ist,
superista?
Werdet Ihr nun rudern, oder muß ich es tun?«
    Als er den Ausdruck unerschütterlicher Entschlossenheit in Johannas graugrünen Augen sah, packte Gerold die Ruder. Es war
     keine Zeit mehr für Diskussionen, denn das Wasser stieg immer schneller. Gerold setzte sich auf die Ruderbank und legte sich
     kräftig in die Riemen, und das Boot entfernte sich von der Anlegestelle.
    Eustathius rief ihnen irgend etwas nach, doch seine Worte waren im Prasseln des Regens und dem Heulen des Windes nicht mehr
     zu verstehen.
    Die behelfsmäßige Flottille schlug einen nordöstlichen Kurs in Richtung Campus Martius ein. Das Hochwasser war weiter gestiegen.
     Der Tiber strömte so schnell durch diesen tiefer gelegenen Teil der Stadt, als würde er durch einen Kanal dahinjagen. Von
     der Porta Septimania am Fuße des kapitolinischen Hügels an waren sämtliche Kirchen und Wohnhäuser überflutet. Die Säule des
     Marcus Aurelius stand zur Hälfte unter Wasser, und die Wellen schwappten gegen den oberen Rand der Türschwellen des Pantheon.
    Als sie sich dem Campus Martius näherten, sahen sie die ersten Anzeichen der schrecklichen Schäden, die das Hochwasser verursacht
     hatte. Holztrümmer – die Überreste eingestürzter
insulae
– schossen an den Booten vorüber; Leichen |502| trieben auf der Wasseroberfläche; sie schaukelten und drehten sich in der Strömung. Die entsetzten Bewohner der verbliebenen
     Mietskasernen hatten sich in die oberen Etagen geflüchtet. Mit ausgestreckten Armen beugten sie sich aus den Fenstern und
     riefen mit kläglichen Stimmen um Hilfe.
    Die Boote fächerten aus; je eines oder zwei fuhren zu einem der Wohnhäuser. Die Strömung und der Wellengang machten es schwer,
     die Boote ruhig im Wasser zu halten. Einige Bewohner der
insulae
wurden von Panik erfaßt, sprangen zu früh aus den Fenstern und verfehlten die schaukelnden und schwankenden Wasserfahrzeuge.
     Andere stürzten vor oder neben den Booten in den Fluß; wieder andere klammerten sich an den Bootsrändern fest und brachten
     die Fahrzeuge zum Kentern. Ein heilloses Durcheinander herrschte im Fluß, als jene, die nicht schwimmen konnten, sich verzweifelt
     an den Schwimmern festhielten, während die Ruderer im Kreise fuhren und zu verhindern versuchten, daß ihre kleinen, leichten
     Boote von der Strömung fortgetrieben wurden.
    Schließlich aber waren alle Boote mit Menschen belegt, und die Ruderer fuhren los, wobei sie einer Route zum kapitolinischen
     Hügel folgten, wo alle Geretteten an Land gesetzt wurden.

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