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Die Päpstin

Titel: Die Päpstin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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sie eine solche Dummheit nicht begehen.
    Trotzdem konnte sie ihre Aufregung nicht verbergen, als eine Stunde später die Tür geöffnet wurde. Ihr Vater trat herein,
     gefolgt von einem dunkelhaarigen Mann, der vollkommen |92| anders war, als Johanna ihn sich vorgestellt hatte. Der Mann besaß die wettergegerbten, derben Gesichtszüge eines
colonus
, eines Bauern, und sein Auftreten war das eines Soldaten, nicht das eines bischöflichen Gesandten. Sein Umhang, der die Insignien
     des Bischofs von Dorstadt trug, war von der Reise zerknittert und staubig.
    »Ich hoffe, Ihr gebt uns die Ehre und eßt mit uns zu Mittag.« Johannas Vater zeigte auf den Topf, der brodelnd auf dem Herd
     stand.
    »Danke, aber ich kann nicht.« Der Mann redete ›thiudisc‹ oder Theodisk – Deutsch, die Sprache der gemeinen Leute –, und nicht
     das Latein der Gebildeten; dies war eine weitere Überraschung. »Ich habe die anderen Männer der Eskorte an einem Treffpunkt
     draußen vor Mainz zurückgelassen, an einer Wegkreuzung. Der Waldweg hierher ist zu eng für zehn Männer mit Pferden, und außerdem
     geht es zu langsam voran. Deshalb bin ich das letzte Stück hierher allein geritten. Ich muß noch heute abend wieder bei den
     Männern sein; morgen früh machen wir uns auf die Rückreise nach Dorstadt.« Er zog eine Pergamentrolle aus seinem Reisetornister
     und reichte sie dem Dorfpriester. »Von seiner Eminenz, dem Bischof von Dorstadt.«
    Behutsam erbrach der Dorfpriester das Siegel; das steife Pergament knisterte, als er das Schriftstück entrollte. Gespannt
     beobachtete Johanna ihren Vater, als dieser blinzelnd versuchte, die Schrift zu entziffern. Langsam las er das Dokument vom
     Anfang bis zum Ende; dann fing er wieder von vorn an, als würde er nach einer Stelle suchen, die er beim erstenmal nicht richtig
     verstanden hatte. Schließlich blickte er auf, die Lippen vor Zorn zusammengepreßt.
    »Was hat das zu bedeuten? Mir wurde gesagt, die Botschaft hätte mit mir zu tun!«
    »So ist es doch auch, heiliger Herr.« Der Mann lächelte. »Insofern Ihr der Vater dieses Kindes seid. Oder nicht?«
    »Über meine Arbeit hat der Bischof nichts zu sagen?«
    Der Mann zuckte die Achseln. »Ich weiß nur eins, heiliger Herr. Daß ich das Kind zur
scola
in Dorstadt bringen soll – so, wie’s in dem Brief steht.«
    Von einer plötzlichen Woge aus Gefühlen erfaßt, stieß Johanna einen Schrei aus. Gudrun eilte zu ihr hinüber und legte schützend
     die Arme um sie.
    |93| Der Dorfpriester zögerte, während er den Fremden musterte. Dann traf er abrupt seine Entscheidung. »Also gut. Es stimmt, daß
     es eine ausgezeichnete Gelegenheit für das Kind ist. Allerdings wird es ohne meine Hilfe sehr schwer für ihn werden.« Er wandte
     sich Johannes zu. »Pack deine Sachen und mach schnell. Morgen reitest du mit dem Gesandten des Herrn Bischof nach Dorstadt,
     um an der dortigen
scola
deine Studien zu beginnen, so, wie der Bischof es befohlen hat.«
    Johanna holte tief Atem.
Johannes
wurde zum Studium an die Domschule gerufen? Wie konnte das sein?
    Der Fremde schüttelte den Kopf. »Mit allem Respekt, heiliger Herr, aber ich glaube, ich sollte ein Mädchen nach Dorstadt bringen,
     keinen Jungen. Ein Mädchen mit Namen Johanna.«
    Johanna löste sich aus der Umarmung ihrer Mutter. »Ich bin Johanna.«
    Der Abgesandte des Bischofs drehte sich zu ihr um. Der Dorfpriester aber trat rasch zwischen die beiden.
    »Unsinn! Der Bischof hat meinen Sohn Johannes an die
scola
bestellt. Johannes – Johanna.
Lapsus calami.
Ein Ausrutscher der Schreibfeder. Ein kleiner Fehler des bischöflichen Amanuensis, mehr nicht. So etwas geschieht häufig,
     selbst unter den besten Schreibgehilfen.«
    Der Abgesandte blickte unschlüssig drein. »Ich weiß nicht …«
    »Gebraucht Euren Verstand, Mann. Was sollte der Bischof mit einem Mädchen an der
scola
anfangen?«
    »Das kam mir auch seltsam vor«, gab der Mann zu.
    Johanna wollte Einspruch einlegen, doch Gudrun zog sie zurück und legte ihr warnend einen Finger auf die Lippen.
    »Mein Sohn hingegen«, fuhr der Dorfpriester fort, »hat die Heilige Schrift studiert, seit er ein Säugling war. Trage unserem
     verehrten Gast etwas aus der Offenbarung des Johannes vor, mein Sohn.«
    Johannes erblaßte und begann zu stammeln:
»Acopa … Apocalypsis Jesu Christi quo … quam illi deum palam fa … facere servis …«
    Der Fremde bedeutete dem Jungen ungeduldig, mit der Stotterei aufzuhören. »Das ist sehr schön;

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