Die Päpstin
tristen Zimmer gefangen,
umgeben von Stapeln langweiliger alter Bücher …
Warum konnte Vater nicht verstehen, daß er, Johannes, nicht an die
scola
wollte?
Ich bin nicht Matthias. Ich werde niemals ein guter Schüler sein. Mich interessiert das alles nicht!
Johannes wollte weder Gelehrter noch Priester werden, sondern Krieger, ein Soldat in der kaiserlichen Armee, der Schlachten
schlug, um die heidnischen Horden zu unterwerfen. Der alte Ulfert, der Sattler, hatte Johannes auf diese Idee gebracht. Ulfert
war mit Graf Hugo im Heer von Kaiser Karl gegen die |100| Sachsen zu Felde gezogen. Was für wundervolle Geschichten der alte Mann erzählen konnte, wenn Johannes in seiner Werkstatt
saß und lauschte. Dann waren die Werkzeuge, die neben Ulfert auf der Bank lagen, eine Zeitlang vergessen, und seine Augen
strahlten bei der Erinnerung an den großen Sieg. »Wie die Drosseln, die im Herbst in die Weinberge einfallen und an den Trauben
picken«, Johannes erinnerte sich so genau an jedes Wort, als hätte der alte Ulfert es gerade erst gesprochen, »so sind wir
über das Land des Feindes gekommen, ein frommes Lied auf den Lippen, und haben die heidnischen Horden aufgestöbert, die sich
in den Wäldern und Sümpfen versteckten und sich in Gräben verbargen, Männer und Frauen und Kinder gleichermaßen. Es gab nicht
einen von uns, dessen Schild und Schwert an jenem Tag nicht rot von Blut gewesen ist! Als die Sonne versank, gab es unter
den Feinden keine lebende Seele mehr, die nicht ihren Götzen abgeschworen und auf den Knien dem wahren Glauben des einen Gottes
die ewige Treue versprochen hätte.« Dann hatte der alte Ulfert sein Schwert geholt, das er aus der toten Hand eines gefallenen
Heiden gewunden hatte, dessen Körper noch warm gewesen war. Der Griff war mit kristallenen Gemmen besetzt und funkelte in
den Farben des Regenbogens, und die Klinge war von einem strahlenden Gelb. Im Unterschied zu fränkischen Schwertern, die aus
Eisen geschmiedet wurden, war dieses Schwert aus Gold gefertigt – ein minderwertiges Material für ein Schwert, erklärte der
alte Ulfert, so daß es diesen Waffen an der Härte und Schärfe der fränkischen Schwerter mangele. Doch ihre Schönheit könne
man nicht leugnen.
Der alte Mann hatte recht. Johannes’ Herz hatte beim Anblick der wundervollen Waffe höher geschlagen. Dann hatte der alte
Ulfert ihm das Schwert hingehalten, und der Junge hatte es ergriffen und sein Gewicht gespürt, und wie wundervoll ausgewogen
es war. Johannes’ Hand paßte um den gemmenverzierten Griff, als wäre das Schwert für ihn geschmiedet worden. Er schwang die
Waffe über den Kopf, und die Klinge durchschnitt mit einem unregelmäßigen, sirrenden Laut die Luft, der in perfektem Einklang
mit dem Rhythmus von Johannes’ Herzschlag zu sein schien. In diesem Augenblick hatte er gewußt, daß er der geborene Krieger
war.
Es gab Gerüchte, selbst jetzt noch, daß im Frühling ein neuer Feldzug unternommen werden sollte. Vielleicht würde Graf |101| Hugo wieder dem Ruf des Kaisers Folge leisten und ein Heer ausheben. Falls dem so war, wollte Johannes dabei sein – egal,
was sein Vater dazu sagte. Im nächsten Frühjahr war er vierzehn und damit im Mannesalter; viele Soldaten waren in diesem Alter
in den Krieg gezogen; manche waren sogar noch jünger gewesen. Sollte es zum Feldzug kommen, würde Johannes dabeisein; falls
nötig, wollte er davonlaufen.
Aber das wurde jetzt natürlich schwierig, denn er würde ja in der
scola
in Dorstadt sein, fast abgeschlossen von der Welt. Würde die Nachricht, daß man ein neues Heer aushebt, überhaupt bis in die
stillen Studierzimmer vordringen? fragte sich Johannes. Und falls ja – kann ich dann aus der Domschule entkommen?
Der Gedanke war beängstigend, und Johannes verdrängte ihn rasch. Statt dessen erweckte er seinen liebsten Tagtraum zum Leben:
Er befand sich in einer Schlacht, in vorderster Linie, und die silbernen Banner des Herzogs schimmerten dicht vor ihm und
zogen ihn voran. Johannes trieb die zerstreuten Reste der geschlagenen heidnischen Armee und die Weiber und Kinder aus ihren
Dörfern vor sich her. Sie flohen vor ihm, verzweifelt und verängstigt, und das lange, weißgoldene Haar der Frauen flatterte
im Wind. Er machte sie nieder, indem er sein Langschwert mit großem Geschick führte; er verstümmelte und tötete, gnadenlos,
erbarmungslos, bis sie sich ihm unterwarfen, ihre Blindheit bereuten
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