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Die Päpstin

Titel: Die Päpstin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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die Fährte des Tieres fast eine
     Stunde lang verfolgt, bis sie den Hirsch schließlich auf einer kleinen Lichtung gesichtet hatten. Gerold setzte sein Jagdhorn
     aus Elfenbein an die Lippen und blies eine Reihe leiser, gleichmäßiger Laute, und die Schweißhunde machten sich hechelnd auf
     die Verfolgungsjagd.
    Es war nicht leicht gewesen, den Hirsch mit nur zwei Mann zu stellen, doch schließlich hatten sie ihn in die Enge getrieben,
     und Gerold erlegte das Tier durch einen raschen Stoß mit dem Speer. Wie Osdag vorhergesagt hatte, war es ein prächtiger und
     großer Hirsch; in Anbetracht des herannahenden Winters würde sein Fleisch eine willkommene Bereicherung des Speisezettels
     auf Villaris sein.
    Ein Stück voraus entdeckte Gerold Johanna, die mit überkreuzten |134| Beinen im Gras saß. Gerold schickte Osdag voraus zu den Ställen und ritt zu dem Mädchen hinüber. Im zurückliegenden Jahr hatte
     er eine so tiefe Beziehung zu Johanna entwickelt, daß er jedesmal darüber staunen mußte, wenn es ihm zu Bewußtsein kam. Johanna
     war ein eigenartiges Kind; da gab es nichts zu deuteln. Sie war oft allein, und sie war zu ernst für ihr Alter. Aber sie hatte
     ein gutes Herz und einen dermaßen scharfen Verstand, daß Gerold ihn bewunderte und überaus faszinierend fand.
    Nachdem er bis in die Nähe der Stelle geritten war, an der Johanna so regungslos wie eins der Reliefs am Eingangsportal des
     Domes saß, schwang er sich aus dem Sattel und führte seinen Fuchshengst am Zügel weiter. Das Mädchen war so tief in Gedanken
     versunken, daß Gerold bis auf drei Meter an sie herankam, bevor sie ihn bemerkte. Als sie ihn sah, sprang sie auf und errötete,
     wie Gerold erheitert feststellte. Johanna war nicht zur Täuschung und Verstellung fähig – ein Charakterzug, den Gerold sehr
     anziehend fand; denn er war so vollkommen anders als … als das, was er gewöhnt war. Und es war nicht zu übersehen, daß Johanna
     sich auf mädchenhafte Weise in ihn verliebt hatte.
    »Du warst in Gedanken«, sagte er.
    »Ja.« Sie kam näher, um den Fuchs zu streicheln und zu bestaunen. »Läßt er sich leicht reiten?«
    »Sehr leicht. Es ist ein wundervolles Tier.«
    »O ja.« Johanna streichelte die schimmernde Mähne des Fuchses. Sie besaß einen ausgezeichneten Pferdeverstand und konnte gut
     mit den Tieren umgehen; vermutlich war es darauf zurückzuführen, daß sie mit Pferden und anderen Tieren aufgewachsen war.
     Soweit Gerold in Erfahrung hatte bringen können, lebte Johannas Familie in so ärmlichen Verhältnissen, wie sie für
coloni
typisch waren, obwohl ihr Vater als Dorfpriester in Diensten der Kirche stand.
    Das Pferd stubste die Nase an Johannas Ohr, und sie lachte vor Belustigung und Freude. Ein attraktives Mädchen, dachte Gerold,
     auch wenn niemals eine Schönheit aus ihr wird. Ihre großen, klugen Augen saßen zu tief, ihr Kiefer war zu breit und kräftig,
     und die geraden, starken Schultern verliehen ihr ein jungenhaftes Aussehen, das durch ihr kurzes, weißgoldenes Haar unterstrichen
     wurde, das allmählich nachwuchs und Johanna gerade erst bis zu den Ohren reichte. |135| Nach dem Zwischenfall an der Domschule hatten sie Johanna das Haar vollkommen abschneiden und bis auf die Kopfhaut rasieren
     müssen; anders konnte das
Gummiarabikum
, das jede Strähne hoffnungslos verklebt hatte, nicht entfernt werden.
    »Woran denkst du?«
    »Oh. Bloß an eine Sache, die heute an der Domschule passiert ist.«
    »Erzähl mir davon.«
    Sie schaute ihn an. »Stimmt es, daß die Jungen der weißen Wölfin tot geboren werden?«
    »Bitte?« Gerold war Johannas mitunter seltsame Fragen zwar gewöhnt; aber diese war noch seltsamer als üblich.
    »Johannes und die anderen Jungen haben sich darüber unterhalten. Es soll eine Jagd auf den weißen Wolf stattfinden. Den im
     Wald von Annapes.«
    Gerold nickte. »Ich habe von diesem Wolf gehört. Ein Weibchen. Ein gefährliches Tier. Sie jagt allein, hält sich von jedem
     Rudel fern und kennt keine Furcht. Erst letzten Winter hat sie eine Gruppe von Reisenden angegriffen und sich ein kleines
     Kind geholt, bevor jemand auch nur die Hand heben konnte, um die Wölfin abzuwehren. Sie ist trächtig, heißt es. Ich nehme
     an, die Wölfin soll erlegt werden, bevor sie die Jungen zur Welt bringt, nicht wahr?«
    »Ja. Johannes und die anderen sind ganz aufgeregt, weil Ebbo erzählt hat, sein Vater habe ihm versprochen, ihn auf die Jagd
     mitzunehmen.«
    »Ach?«
    »Aber Odo hat

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