Die Palm-Beach-Verschwoerung
»Ned hat die Waffe von Pferdeschwanz.«
»Oh, Scheiße«, sagte Ellie.
»Er musste das tun, Ellie.« Champ leckte über seine Lippen.
»Das habe ich nicht gemeint«, erklärte sie. Sie prüfte ihre eigene Waffe, dann drückte sie Champs Hand noch einmal. »Ich habe schon mal erlebt, wie Ned mit einer Waffe umgeht.«
107
Ich raste vom Ballsaal durch die Küchentür. Nachdem die verängstigten Mitarbeiter die Schüsse gehört hatten, pressten sie die Rücken gegen die Wand und starrten mich an, unsicher, wer wen jagte.
Ich blickte einen Schwarzen mit Kochmütze an. Der Küchenchef. »Hier ist ein Mann in Smoking durchgerannt. In welche Richtung?«
»Da hinten ist eine Tür«, sagte er schließlich und deutete mit dem Finger in diese Richtung. »Sie führt in die Eingangshalle. Und nach oben zu den Zimmern.«
Zimmer 601, erinnerte ich mich.
An der Treppe stürmte ich nach oben. Es war einen Versuch wert. Zwei Jugendliche kamen mir entgegen.
»Habt ihr einen Mann im Smoking hochrennen sehen?«, fragte ich.
Sie zeigten beide die Treppe hinauf. »Der hatte ‘ne Waffe!«
Sechs Stockwerke weiter oben drückte ich eine schwere Tür auf und betrat einen mit dickem, rotem Teppich ausgelegten Flur. Ich lauschte, ob ich Strattons Schritte hörte. Nichts. Zimmer 601 lag links Richtung Fahrstühle. Na, dann los!
Als ich um die Ecke bog, entdeckte ich Stratton. Er bemühte sich am Ende des Flurs, den elektronischen Schlüssel in den Schlitz einer Tür zu schieben. Ich wusste nicht, was sich dahinter befand. Vielleicht Verstärkung für ihn.
»Stratton!«, rief ich und zielte auf ihn. Er drehte sich um.
Zu sehen, dass dieser abgebrühte Mensch, der sich sonst immer unter Kontrolle hatte, die Fassung verlor, brachte mich fast zum Lächeln. Er riss den Arm hoch und drückte ab. Blitze zuckten in der Nähe meines Kopfes über die Wand. Ich zielte
ebenfalls, aber schoss nicht. So sehr ich ihn auch hasste, wollte ich ihn doch nicht töten.
Aber Stratton sah meine Waffe - und rannte einen anderen Flur entlang.
Und ich wieder hinter ihm her.
Wie ein in die Enge getriebenes Tier versuchte er, rund um die Fahrstühle Türen zu öffnen. Sie waren verschlossen. Es gab zwar eine zum Balkon, aber die hätte ihm wenig genützt.
Schließlich schaffte er es doch noch, eine Tür aufzubekommen - und verschwand.
108
Mir ging ein völlig komischer Gedanke durch den Kopf, als ich, Dennis Stratton auf der Spur, mit der Waffe in der Hand das abgedunkelte Betontreppenhaus hinaufrannte.
Es war Jahre her. Damals in Brockton. Ich kämpfte mit Dave.
Ich glaube, ich war fünfzehn, er musste zehn gewesen sein. Er und einer seiner doofen Freunde gaben Laute wie Schimpansen von sich, während ich versuchte, im Buckley Park in der Nähe unseres Hauses mit Roxanne Petrocelli zu schmusen. Am Klettergerüst hatte ich ihn erwischt und ihn - vielleicht zum letzten Mal, bevor er zu stark wurde - ordentlich rangenommen. Ich zog seine Arme und seinen Hals in einer Art Schwitzkasten nach hinten. Ich sagte immer wieder: »Gibst du auf? Gibst du auf?«, in der Hoffnung, dass er es tun würde, aber er war so hart drauf, dass er sich nicht von der Stelle rührte. Ich drückte fester zu, bis er völlig rot im Gesicht war. Noch ein bisschen mehr, und er ist tot, dachte ich. Schließlich schrie er: »Okay, ich geb auf!«, und ich ließ ihn los.
Einen Moment lang blieb er keuchend sitzen. Seine Wangen bekamen langsam wieder ihre normale Farbe. Und plötzlich holte er aus und warf mich mit Schwung auf den Rücken. Als er sich auf mich setzte, grinste er. »Du bist ein bescheuertes Arschloch.«
Ich weiß nicht, warum mir das einfiel, als ich Stratton hinterherrannte. Aber so war es. Eine dieser komischen Verbindungen im Hirn, wenn man Gefahr spürt.
Die Treppen führten in einen der riesigen Türme des Hotels. Es brannte zwar kein Licht, aber die Scheinwerfer von draußen erleuchteten alles in ihrer Umgebung. Ich konnte Stratton nirgends sehen, aber ich wusste, dass er da oben war.
Wie ein Trommeln in der Ferne hörte ich immer wieder in meinem Kopf: »Du bist ein bescheuertes Arschloch.«
Ich drückte eine Metalltür auf und betrat das Dach des Hotels. Die Szene hatte etwas Surreales: Um mich herum breitete sich Palm Beach aus. Die Lichter von Baltimore, die Flagler Bridge, die Wohnhäuser drüben in West Palm Beach. Riesige Scheinwerfer, angeordnet wie Haubitzen, warfen blendende Lichtsäulen auf Türme und Hotelfassade.
Ich blickte mich nach Stratton
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