Die Pan-Trilogie, Band 1: Das geheime Vermächtnis des Pan (German Edition)
nach Hause bringen?«, fragte er jetzt.
Ich war schon versucht Ja zu sagen, als mir Mum einfiel und der Verrat, den sie begangen hatte. Geschähe ihr recht, wenn mir etwas zustieße. Dann hätte sie definitiv niemanden mehr, der ihren dämlichen Pub weiterführen könnte. Ich schüttelte den Kopf. »Nein. Ich will nicht heim.« Melodramatisch setzte ich hinzu: »Nie wieder.«
Lee sah mich nachdenklich an, als ob er überlegte, ob er mich nicht doch einfach fahren sollte, aber dann stieg er aus. Ehe ich reagieren konnte, war er an meiner Seite und hatte die Beifahrertür geöffnet. Ich ergriff die mir dargebotene Hand und folgte ihm. Es hatte kurz gezuckt, aber er hatte nicht losgelassen; dann hatte er es wohl vergessen und es fühlte sich nicht unangenehm an. Bis auf die Tatsache, dass Lees Haut nur lauwarm war.
Ein Fahrstuhl führte direkt ins Haus. Lees Vater musste wirklich gut verdienen. Anstatt in sein kleines Loft, führte mich Lee in ein Zimmer im dritten Stock. Anscheinend das Gästezimmer. Ein Doppelbett dominierte den im Jugendstil eingerichteten Raum.
»Das Bad ist direkt nebenan. Ich glaube, wir haben auch noch neue Zahnbürsten. Ich geh eine holen.«
Ich nickte. Als Lee ein paar Minuten später zurückkam, hatte er auch ein frisches T-Shirt dabei, als Pyjama-Ersatz. Unschlüssig stand er schließlich in der Tür.
»Wenn du was brauchst, weißt du, wo du mich findest.«
Ich nickte wieder.
»Na, dann, gute Nacht.«
Wieder nur ein Nicken. Gerade als er die Tür schließen wollte, fand ich meine Sprache wieder.
»Lee?«
»Ja?« Die Tür ging weiter auf.
»Wo warst du eigentlich die ganze Woche?«
»Ich musste meinem Dad helfen.«
So einfach. So schlicht. So gelogen.
»Ehrlich. Er kam am Abend der Premiere und bat mich um Hilfe. Familienangelegenheiten in Yorkshire. Eine ziemlich komplizierte Erbsache.«
»Dein Dad fragt dich um Hilfe in einer Erbsache?«, wiederholte ich skeptisch.
Lee lächelte und sah dabei etwas selbstgefällig aus. »Ja. Ich bin darin ziemlich gut.«
Worin war er das nicht? Und musste ich nicht für meine Mutter auch so manches regeln?
»Schlaf gut.« Er wollte die Tür wieder schließen.
Ich sagte leise: »Danke. Für alles.«
Er lächelte ein bezauberndes Lächeln. »Gern geschehen. Schlaf gut, Felicity.«
»Du auch.«
Als ich mich gewaschen und Zähne geputzt hatte und mit dem frischen T-Shirt (das nach Lee roch) im Bett lag, konnte ich lange nicht einschlafen. Der Verrat meiner Mutter wog schwer. Und außerdem schlichen sich kleine Stimmen in meinen Kopf, die flüsterten, sie hätte Recht. Meine Großeltern waren Landwirte gewesen und hatten nebenbei einen kleinen Gasthof geführt und ein paar Lebensmittel verkauft. Das Geld war bei ihnen auch immer äußerst knapp gewesen und sie waren nie über den Umkreis von 30 Meilen hinausgekommen. Mum hatte einfach das getan, was sie von klein auf kannte: Sie hatte eine Kneipe eröffnet.
Nur eben in London, weil sie glaubte, dort besser leben zu können. Die erste Zeit war das auch so gewesen. Als Alleinerziehende hatte sie in dem kleinen Dorf in Cornwall keine Zukunft, und nachdem Grandpa gestorben war, konnte ihr Grandma auch nicht mehr unter die Arme greifen. Sie war in ein Altenheim gezogen und hatte ihr Häuschen dafür verkauft. Also waren wir, als ich zehn Jahre alt war, nach London gezogen. Der Pub in London war die ersten zwei Jahre gut gegangen. Und Mum kannte ja auch nichts anderes. Weshalb etwas ändern, das immer so gelaufen war? Vielleicht war es mein Schicksal genauso zu enden wie meine Mutter?
Nein. Das wollte und konnte ich nicht akzeptieren. Ich wollte studieren. Ich wollte ausbrechen aus diesem düsteren Dasein, das sie führte. Aber jetzt wollte ich eigentlich nur noch schlafen. Ich sollte erschöpft genug sein. Ein paar Minuten lag ich mit offenen Augen im Bett und sah im Licht der Straßenlaternen die weiße Stuckdecke an, ehe mir aufging, dass ich tierischen Hunger hatte. Ich hatte seit heute Mittag nichts mehr gegessen, fiel mir schlagartig ein. Früher hatte uns Mum, wenn ich ihr den Tag über im Pub half, Pizza kommen lassen. Aber seit zwei Jahren nicht mehr. Das Geld wurde immer knapper.
Noch ein Grund mehr, studieren zu gehen. Da das Geld, das ich in besseren Zeiten für mich auf die Seite gelegt hatte, weg war, war ich wohl gezwungen, mir einen Nebenjob zu suchen.
Aber zuerst musste ich was zu essen suchen.
Ob Lee was dagegen hatte, wenn ich einen Blick in seinen Kühlschrank warf? Ich
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