Die Parallelklasse - Ahmed ich und die anderen - Die Luege von der Chancengleichheit
wieder nach Deutschland kommen. Er will auch hier bleiben. Aber auch Sibels Mann spricht kaum Deutsch. Der Sohn, zwei Jahre alt, spricht vor allem Türkisch, er versucht es jedenfalls.
»Ich habe einen guten Ehemann«, sagt Sibel, »es war ein schönes Fest, sogar mein Vater hatte seinen Frieden gemacht und trat mit seiner Band auf. Aber es ist anders als früher, als wir uns kennen lernten.« Die drei Jahre Trennung haben ihnen nicht gutgetan. Sie sind sich ein bisschen fremd geworden. Sibel ist in diesen Jahren weiter auf Partys gegangen. Dem Mann gefiel das nicht.
Sibels Mann arbeitet als Fliesenleger, sie als Bürogehilfin, noch ist sie in Mutterzeit. »Ich muss aber bald wieder mehr Geld verdienen«, sagt Sibel. Für die zwei Zimmer im hässlichen Brückenhaus zahlen Sibel und ihr Mann fast 700 Euro Miete. Fast alle Nachbarn bekommen ihre Miete vom Amt bezahlt. Sibel und ihr Mann arbeiten und sind damit eine Ausnahme. Sie leiden unter der Mietsteigerung. »Wir würden gerne umziehen«, sagt Sibel, »etwas Größeres, Billigeres, aber mit einem türkischen Namen haben wir keine Chance, wir kriegen nur Absagen.« Was Sibel nicht sagt: Natürlich würde sie irgendwo in Berlin etwas Bezahlbares finden, eine Wohnung, die nicht so begehrt ist, in einer Lage, die nicht so gefragt ist, von einem Vermieter, dem es egal ist, woher die Bewohner stammen. Aber auch Sibel ist eine überzeugte Kreuzbergerin. Durch und durch. Sie will bleiben, sie will nicht zu den Arabern nach Neukölln, sie will ihren Sohn in ihrer Heimat großziehen. Deswegen zahlt sie weiter zu viel Geld für eine zu kleine Wohnung. Wieder höre ich von einer meiner ehemaligen Mitschülerinnen, dass es in ihrer Heimat keinen Platz mehr für sie gibt. Murat und Fatih leben noch oder wieder zuhause, weil sie sich keine eigene Wohnung leisten können. Sibel muss ihren Kiezpatriotismus teuer bezahlen, sie leidet darunter, dass selbst einstige Sozialwohnungen im angesagten Bezirk nicht mehr vor der Maklergier sicher sind. Aktuelle Studien belegen, dass die sozial Schwachen aus Kreuzberg in die Randbezirke flüchten müssen. Der Vorsitzende einer Immobilienbesitzer-Organisation brachte es kürzlich auf den Punkt: »Diese Gesellschaft garantiert jedem ein Dach über dem Kopf, aber nicht unbedingt exakt an dem Ort, an dem er es wünscht.«
Mit ihrem Vater will Sibel endgültig nichts mehr zu tun haben, der Frieden war nur von kurzer Dauer. Er kommt manchmal vorbei. Er will seinen Enkel sehen. Sibel lässt ihn dann ins Wohnzimmer, sie lässt ihm zehn Minuten mit dem Kleinen, aber sie schaut ihn nicht mal an. »Er ist schuld«, sagt Sibel. Ihre Mutter starb vor einem Jahr an Lymphdrüsenkrebs. Und Sibel ist sich sicher, dass die Krankheit nur deshalb so schwer verlaufen ist, weil der Vater die Mutter so sehr verletzt hat. Die Mutter fand heraus, dass der Vater schon seit Jahren diverse Affären hatte. Mit deutschen Frauen. Er kommt viel rum als Musiker, es wird spät, er redet gerne, er raucht viel, trinkt viel, hat viel Zeit, es ist eine andere Welt als die Welt der Mutter. Der Vater leugnete nicht. Er schwieg grimmig, wie es seine Art ist. Und wie Sibel einst, tat die Mutter etwas, das er nicht erwartet hätte: Sie verließ ihn. Für Sibel und die Geschwister war das schwer. Sibel verstand die Mutter, wollte immer für sie da sein. Aber eine zerbrochene Familie? »So weit war ich sogar in meiner Kiffzeit nicht gegangen. Bei uns ist die Familie das Wichtigste, das Einzige, das Größte. Es ist anders als bei euch Deutschen. Eine Familie darf nicht kaputt gehen. Auf keinen Fall.«
Die Mutter schaffte es nicht mehr, aus der gemeinsamen Wohnung, in der Sibel aufgewachsen war, auszuziehen. Sie musste ins Krankenhaus. Es ging schnell vorbei. »Immerhin hat sie meinen Sohn noch kennen gelernt«, sagt Sibel, »aber jeden Tag fehlt sie mir. Sie verpasst so viel. Er ist noch da und wahrscheinlich hat er immer noch Frauen. Sie hat auf so viel verzichtet für ihn, sie hat alles für die Familie getan, aber er hat alles kaputt gemacht.«
Sibel sagt, sie sei immer froh gewesen, in Deutschland aufzuwachsen, wo sie auf der Straße die Freiheit fand, die ihr Vater ihr zuhause nicht gewähren wollte. Aber die Affären ihres Vaters seien die schlechte Seite der Integration. »Deutschland ist türkischer geworden in den letzten Jahrzehnten, aber die Türken sind auch deutscher geworden. Auch im schlechten Sinne. Jetzt gehen sie fremd.« Ich sage Sibel, dass türkische Männer wie
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