Die Partie. Thriller (German Edition)
sich mit gezogener Waffe durch das dunkle Treppenhaus des Turms. Der Flur ist nur hier und da mit Glühbirnen beleuchtet. Eva bleibt dicht hinter Kimski, wahrt aber einen Sicherheitsabstand.
Er öffnet in jedem Stockwerk die Türen, durchsucht die Räume und entdeckt nichts als zugehängte Fenster, zahllose Kisten und Malutensilien. Vor der Tür zur letzten Etage hält er inne. Falls sich jemand hinter diesem Zugang verbirgt, dann hat er die Eindringlinge vermutlich bereits gehört. Vorsichtig drückt Kimski die Klinke herunter. Mit einem leisen Knarren öffnet sich die Tür. Er bleibt im Halbdunkel des Flurs stehen und wartet. Das Erste, was er in dem Zimmer erkennen kann, ist ein leerer Stuhl.
»Kommen Sie nur herein«, ertönt eine Stimme von irgendwo hinter der Wand. Es ist ein Mann. Er spricht langsam und etwas gehemmt.
»Ich erwarte Sie bereits.«
Kimski streckt die Glock vor sich, macht einen Schritt nach vorn und postiert sich im Türrahmen. Jetzt kann er den gesamten Raum überblicken. Der leere Stuhl steht in der Mitte. In einer Ecke steht ein Tisch. Darauf ein Schachbrett. Dahinter stehen zwei weitere Stühle. Auf dem einen sitzt ein Mann, der sein Gesicht mit einer Krähenmaske verdeckt hat. In einer Hand hält er eine Pistole. Neben ihm sitzt ein Mann mit einem Knebel im Mund. Arme und Beine sind an den Stuhl gefesselt. Der Krähenmann hält ihm die Waffe an den Kopf. Im ersten Moment erkennt Kimski die traurige Gestalt nicht. Dann wird ihm alles klar. Bruchstücke einer Unterhaltung zwischen Kriminalrat Pflüger und Kommissar Vollmer fallen ihm ein, die er am Vortag aufgeschnappt hatte. Der Oberbürgermeister ... seine Frau und seine Tochter sind gestern Abend von einer Reise zurückgekehrt, da war er schon verschwunden.
»Herr Oberbürgermeister!«, entfährt es Kimski.
»Ach so«, sagt der Krähenmann, kichert kurz, »Sie wussten es gar nicht? Ihre Freunde bei der Polizei haben Ihnen wohl nichts erzählen wollen. Vielleicht sollten Sie sich einen neuen Freundeskreis suchen?«
Kimski tritt über die Türschwelle und läuft in die Mitte des Raumes. Der Lauf seiner Glock zielt auf die Maske des Entführers.
»Setzen Sie sich«, sagt sein Gegenüber höflich, »lassen Sie sich bloß nicht aus der Ruhe bringen. Entführungssituationen sind Ihnen doch vertraut. Darf ich Ihnen einen Tee anbieten?«
Kimski reagiert nicht. Er starrt die Maske an und überlegt. Will der Verrückte die Bruderschaft der Zwei Krähen wieder auferstehen lassen? Im Türrahmen hinter ihm erscheint Eva. Sie blickt vorsichtig um die Ecke.
»Oh ja, entschuldigen Sie. Ich habe nicht daran gedacht, dass Sie in Begleitung kommen würden. Jetzt habe ich nur eine Sitzgelegenheit für Sie vorbereitet. Ich denke, es wäre höflich, den Stuhl der Dame zu überlassen. Meinen Sie nicht auch, Kimski?«
»Wir haben miteinander telefoniert«, sagt Kimski, langsam und leise, jede Silbe einzeln suchend.
»Natürlich haben wir das. Ich verstehe nicht, warum Sie mich so erstaunt anstarren.«
Kimski blickt kurz zu Eva, sie sieht ihn fragend an. Er setzt sich auf den leeren Stuhl.
»Aber nein. Sie sind wirklich kein Gentleman, ich muss mich über Sie wundern. Der Sitzplatz sollte doch für die Dame frei bleiben.«
Kimski reißt die Pistole wieder hoch. Sein Blick sucht die Krähenmaske zu durchdringen.
»Ich verstehe. Der Moment, in dem Sie mir gegenüberstanden, hat Sie durcheinandergebracht. Auf einmal haben Sie realisiert, dass ich es ernst meine; dass auch ich mit echten Pistolen spiele. Am Telefon war es natürlich eine andere Situation. Da haben Sie sich nur für das Geld interessiert, das ich Ihnen geboten habe.«
»Wovon redet der Kerl?«, ruft Eva aus dem Hintergrund.
»Bringe ich Sie aus der Kontrolle, Leonard Kimski?«, fragt der Krähenmann. Seine Stimme klingt mehr und mehr nach einem Krächzen. »Soll ich es ihr erklären oder wollen Sie es ihr erklären?«
»Was erklären?«
Kimski erhebt sich.
»Na, dass ich Sie bezahle. Dass Sie für mich arbeiten, könnte man sagen«, der Mann unterbricht sich und blickt zu Eva. Er deutet mit der freien Hand auf den leeren Stuhl. »Aber bitte, Sie brauchen nicht abseits zu stehen.«
Eva rührt sich nicht. Die Krähe sieht wieder zu Kimski.
»Spielen Sie Schach?«
Kimski schweigt.
»Wie Sie sehen, habe ich Sie zu einer Figur in meinem Spiel gemacht.«
Schweiß tropft von der Stirn des Oberbürgermeisters. Niemand beachtet ihn.
»Warum?«, fragt Kimski leise.
»Warum ich Sie
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