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Die Patchwork-Luege

Titel: Die Patchwork-Luege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melanie Muehl
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Hälfte der Befragten gab an, auf die eine oder den einen, den für sie bestimmten Menschen zu warten. Die andere Hälfte zieht also von Anfang an in Betracht, dass sie sowieso nur einen Lebensabschnitt mit dem Partner verbringen wird.
    Mit der Zeit, so Allmendinger, entkoppele sich bei den Frauen immer stärker die Entscheidung für Kinder von der Existenz des richtigen Vaters und Mannes. Er sei nur mehr eine Option. »Muss es zwischenzeitlich ein Kind sein, zur Not auch ohne Vater?«
    Frauen, die sich Kinder wünschen, stehen unter Zeitdruck, das ist ihr Nachteil. Männern fehlt die biologische Uhr. Sie können endlos suchen, ohne nervös zu werden.
    Doch über dem Suchen und Abwägen haben wir vergessen, dass die Liebe nacheinander verschiedene Stadien durchläuft. Das erste Stadium der Verliebtheit ist nichts weiter als ein mehrstufiger biochemischer Vorgang. Hirnforscherund Anthropologen beschreiben das Verliebtsein weniger als Gefühl (Emotion) denn als Antrieb (Drive). Die Lust wird bei Männern und bei Frauen vor allem durch das Geschlechtshormon Testosteron gesteuert. Die gegenseitige Anziehung versetzt uns in ein Hochgefühl, wir denken obsessiv an den anderen. Weil das anstrengend ist, verbrauchen wir mehr Energie als beim Einkauf im Supermarkt.
    Die entscheidenden hormonellen Veränderungen spielen sich im Belohnungssystem des Gehirns ab. Der Dopaminspiegel steigt, das Serotonin nimmt ab. Das Glückshormon Dopamin entwickelt in hoher Konzentration eine beinahe suchtartige Begierde. Gleichzeitig mit dem Dopamin werden vermehrt Stresshormone und vor allem Noradrenalin gebildet und ausgeschüttet. Der Stoffwechsel erhöht sich, die Blutgefäße ziehen sich zusammen und unser Herz rast, als kämen wir vom Joggen.
    Der erste Kuss ist der schönste. Er lässt sich nicht wiederholen. In jenem Moment, da er geschieht, ist er Vergangenheit. Die Phase des Werbens ist schnell vorbei, was anthropologisch gesehen seine Richtigkeit hat, aber trotzdem traurig ist. Keine Liebesbriefe, keine Gedichte mehr, seltener Geschenke und Aufmerksamkeiten. Man lernt einander besser kennen, wird vertrauter, die Fremdheit schwindet, das Geheimnisvolle auch. Die Trunkenheit lässt allmählich nach und die Hormone kommen wieder ins Gleichgewicht. Behaupteten manche anfangs noch, sie würden vor dem anderen niemals eine Augenmaske auftragen, wird es irgendwann zur Gewohnheit. Klamottenim Wohnzimmer liegenlassen? Kann passieren. Wir befürchten, im Netz der Routine zu zappeln. Zu viel Prosa, zu wenig Poesie, überall Alltag. Wir fürchten, dies sei der Anfang vom Ende der Liebe, dabei ist es nur das Ende vom Anfang.
    Erich Fromm sprach von der »Kunst des Liebens« und riet dazu, auch in der Liebe einige Regeln zu beachten. Eine dieser Regeln lautet Disziplin. »Ich werde es nie zu etwas bringen, wenn ich nicht diszipliniert vorgehe. Tue ich nur dann etwas, wenn ich gerade ›in Stimmung‹ bin, so kann das für mich ein nettes oder unterhaltsames Hobby sein, doch niemals werde ich in dieser Kunst ein Meister werden.« Das ist beim Klavierspielen nicht anders als beim Segeln.
    Noch schwerer als die Selbstdisziplin falle dem modernen Menschen die Konzentration. Unsere Kultur führe zu einer unkonzentrierten, zerstreuten Lebensweise, für die es kaum eine Parallele gebe. »Man tut vielerlei gleichzeitig. Zur gleichen Zeit liest man, isst, hört Radio, raucht, trinkt, redet. Wir sind Konsumenten mit dem stets geöffneten Mund, bereit, alles zu verschlingen.« Zu Fromms Zeiten gab es noch kein Mobiltelefon, und niemand surfte im Internet. Die Zeit und die Technik haben uns zu einer sofortigen Bedürfnisbefriedigung erzogen und uns zu Sklaven der Augenblicklichkeit gemacht. Öffnet sich eine Internetseite nicht augenblicklich, klicken wir sie weg, verspüren wir Lust auf Pizza, rufen wir bei »Joeys« an, denken wir an einen Song, hören wir ihn auf YouTube. Eine Urlaubsbuchung dauert keine 10 Minuten. Wir sind perfekteKonsumenten: immer ansprechbar, immer auf der Suche, immer unzufrieden.
    Darüber haben wir die Fähigkeit des Verweilens verloren – und unsere Geduld.
    Geduld sei neben Disziplin und Konzentration aber die dritte Voraussetzung für die Liebe, behauptet Fromm. Wenn man auf rasche Erfolge aus sei, lerne man eine Kunst nie. »Aber für den modernen Menschen ist es ebenso schwer, Geduld zu haben, wie Disziplin und Konzentration aufzubringen. Unser gesamtes Industriesystem ist genau dem Gegenteil förderlich: der Geschwindigkeit.

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