Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Patin

Die Patin

Titel: Die Patin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gertrud Höhler
Vom Netzwerk:
Kanzlerin stellt fest. Gauck könnte, wenn die Kanzlerin es zulässt, ein Ratgeber und Mentor für die Mitbürgerin vom andern Stern, für Angela Merkel, werden.
    Unprofessionell wie er ist, kein Hai unter Haien, nicht einmal Wolf unter Wölfen, sieht der neue Präsident aber mehr, als die Kanzlerin möchte. Ungefragt kommentiert er die im Status eines Göttergebots angekommene ‹Energiewende›: Kaum im Olymp über den Heroen der Wende angekommen, teilt der neue Präsident mit ruhiger Hand die Wolken, hinter denen der Energie-GAU in ein Kommandounternehmen staatlicher Allmacht verwandelt werden soll.
    Gauck zeigt in aller Ruhe und Klarheit, wie er seinen Auftrag als Präsident versteht: Die schleichende Machtergreifung des Staates im Kern der Wirtschaft, der Energie-Industrie, kann er nicht arglos hinnehmen. Er warnt vor einem «Übermaß an Subventionen». Und er wird genauer: Das ehrgeizige Projekt der deutschen Regierung könne «nicht gelingen allein mit planwirtschaftlichen Verordnungen». 191 Damit ist der Anklangan jenes System gegeben, dessen Scheitern beide, die Kanzlerin und der Präsident, auf verschiedenen Plätzen erlebt haben. Gegen Planwirtschaft, für Wettbewerb: Der Bundespräsident wirft die wichtigen Stichworte in die Debatte, die im allgemeinen Staatsgehorsam selbst aus der Energiewirtschaft niemand mehr vertritt. Umweltfreundliche Produktion müsse sich für die Unternehmen im Wettbewerb auszahlen, so der Präsident. Wenn Selbstverständlichkeiten der Marktwirtschaft in Vergessenheit geraten, ist es gut, einen Präsidenten zu haben, der nicht vergessen hat, was Planwirtschaft anrichtet. Eher ein Gegenspieler, wird Merkel nach diesen Auftritten des Präsidenten denken, den sie nicht wollte.
    Der neue Präsident hat nun seine Mehrheit geholt nicht ‹gegen Merkel›, sondern an Merkel vorbei. Er kann nicht, was sie kann, und er will nicht lernen, was sie kann – aber das Paradox beunruhigt die Kanzlerin mit Recht. Es wird keine Arbeitsteilung, wie sie ihr mit Köhler, mit Wulff vorschwebte. Es wird überhaupt kein Merkel-Projekt, was da anläuft. Das ist sie schon lange nicht mehr gewohnt – und nun geschieht es beim höchsten Staatsamt.
    Ob wir das später einmal als den Anfang der Auflehnung sehen werden oder als ein folgenloses Wetterleuchten, das hängt nicht nur vom Mut des Präsidenten ab, die Macht des Wortes auszureizen. Es entscheidet sich vielmehr bei uns, den Bürgern, und bei den Medien, die im Präsidentenpoker ihre legitime Macht gezeigt haben, ob die Botschaften des Präsidenten Joachim Gauck als unsere Appelle an das System M nicht mehr überhört werden können.
    Noch im Oktober 2011 hatte Joachim Gauck die Medien nicht im Unklaren darüber gelassen, wie er die Politik der Kanzlerin einschätzt: «Man könne wichtige politische Entscheidungen, wie etwa den Ausstieg aus der Kernkraft, nicht von der Gefühlslage der Nation abhängig machen», so Gauck vor wenigen Monaten. «Genau das aber tue die Regierung Merkel, weil die Furcht vor der nächsten Wahlniederlage das politische Handeln dominiere.» – «Ich fürchte mich vor einem modernen Politikertyp, der völlig auf Inhalte verzichtet», fügte er hinzu.
    Auf den Führungsstil der Kanzlerin angesprochen, sagte er dann den merkwürdigsten Satz, der jemals im Politikbetrieb über Angela Merkelgesagt wurde: Er vermisse ‹Erkennbarkeit›. «Ich respektiere sie, aber ich kann sie nicht richtig erkennen.» 192
    Es ist ein philosophischer Satz, ohne Echo über eine Kluft gerufen, an deren anderem Steilufer die Schweigerin steht: Angela Merkel hat keinen Sprachbaustein dabei, um diesem Parzival auf der andern Seite zu antworten.
    Im Gelobten Land stehen sie einander gegenüber, die beiden Kinder aus Anderland. Ihr Lernerfolg in der Kinderheimat könnte gegensätzlicher nicht sein: Der eine bewahrte, was ihm Halt gegeben hatte; die andere ließ alles hinter sich und begann von vorn – mit einem einzigen, verschwiegenen Credo: Nie mehr im Revier der Ohnmächtigen wohnen.
    Auch wir ‹können die Kanzlerin nicht richtig erkennen›. Glaubt sie noch an die Demokratie?
    167   Siehe dazu «Deine Sprache verrät dich», S. 182ff.
    168   Vgl. dazu www.spiegel.de , 31. Mai 2010
    169   Siehe dazu «Deine Sprache verrät dich», S. 182ff.
    170   Vgl. SZ-Magazin , 17. Februar 2006.
    171   Ebenda.
    172   Vgl. dazu www.spiegel.de , 22. Mai 2004.
    173   www.spiegel.de , 22. Mai 2004.
    174   Zu den hier zitierten Stimmen vgl. Jan

Weitere Kostenlose Bücher