Die Patin
das ist ein guter Moment, um ihm die Schlüssel wegzunehmen, ohne dass die Gefahr besteht, dass ihr übereinander herfallt.«
Anne sah sofort wieder elend aus. »Ich kann ihm nicht in die Augen gucken. Ich meine, was muss er von mir halten? Ich bin eine verheiratete Frau ... Ich bin nicht besser als seine Bianca - sicher verachtet er mich.«
»Blödsinn«, sagte ich. »Ich denke eher, er ist sauer, weil er aus der Dusche kam und du warst verschwunden.«
»Er hätte ja mal anrufen können«, sagte Anne. »Dann hätte ich ihm alles erklärt. Was meinst du, was will Bernhard bei Jo?«
Ich zuckte mit den Schultern. »Vielleicht hat er auch was vergessen. Aber ehrlich gesagt sah es nicht so aus, als handele es sich um einen Freundschaftsbesuch.«
»Du meinst ...? Oh nein!« Anne ging kurz entschlossen zur Haustür zurück und klingelte mehrmals energisch.
Niemand öffnete.
»Oh, oh«, sagte ich.
»Jo! Wenn sie ihm was tun, dann kriegen sie's mit mir zu tun!«, rief Anne. Der elende, selbstmitleidige Ausdruck war mit einem Schlag aus ihrem Gesicht verschwunden. Stattdessen leuchteten ihre blauen Augen voller Heldenmut. Sie sah wieder mal originalaus wie Frodo Beutlin, als er sich entschloss, den Ring bis nach Mordor zu tragen: klein, tapfer und zu allem bereit.
Sie klingelte an sämtlichen anderen Klingeln des Hauses Sturm.
»Mein Schwert gehört dir«, sagte ich zu ihr. »Lass uns gemeinsam gegen die bösen Orks kämpfen.«
Aber Anne hatte jetzt keinen Sinn für meine Art von Humor.
»Post!«, schrie sie in die Gegensprechanlage, und die Tür wurde aufgedrückt. »Komm!« Anne stürmte die Treppen hinauf.
Ich zog mein Schwert und folgte ihr.
Als wir oben ankamen - ich war sicher, die anderen Parteien hingen alle an ihrem Türspion -, ging die Wohnungstür gerade auf, und der kleine, untersetzte Beifahrer des Porsche kam heraus. Er hielt den Mastino an einem Stachelhalsband fest, aber der versuchte trotzdem, mich zu fressen. Ich kippte auf der Stelle aus meiner »Herr-der-Ringe«-Fantasie und erstarrte zur Salzsäule.
»Der tut nichts, der will nur schnüffeln«, sagte der Mann.
Anne war schon an ihm und dem Hund vorbei in die Wohnung gestürmt. »Jo! Jo! Ist dir etwas passiert?«
Ich wäre ihr gern gefolgt, aber ich war ja eine Salzsäule, mitten in Sodom und Gomorra, zu nichts fähig, als blöd zu glotzen.
Der Mann glotzte zurück. Er musterte mich von oben bis unten, pfiff dann durch seine Zähne, lüftete einen nicht vorhandenen Hut und sagte: »Gestatten? Paschulke. Sie sind ja ein ganz heißes Gerät, wenn ich das mal so sagen darf Ich wette, ohne die Schmiere in Ihrem Gesicht sind Sie ein echter Knüller.«
Richtig, da war ja noch die Antifaltenmaske, so ein grüner Brei mit Algen und Avocado. Anne war so sehr mit sich beschäftigt gewesen, dass sie mich leider nicht darauf aufmerksam gemacht hatte. Ich war mit der grünen Matschepampe im Gesicht durch die halbe Insektensiedlung spaziert. Aber Herr Paschulke fand mich trotzdem ganz toll. Er holte mit seiner freien Hand eine Visitenkarte aus seiner Lederjacke und reichte sie mir. »Wenn Sie mal einen Job suchen - wir brauchen immer gut aussehendeMädels hinter dem Tresen. Ist 'ne nette kleine Kneipe. Hoch anständig. Aber die Kundschaft trinkt mehr, wenn das Mädel hinter dem Tresen nicht aussieht wie vom Pferd getreten. Das Auge isst mit, sagt man doch.«
Ich nahm die Visitenkarte verdattert entgegen. Ich weiß es nicht mehr so ganz genau, aber möglicherweise habe ich mich auch noch dafür bedankt und gesagt, ich würde es mir überlegen.
»Oh mein Gott, Jo!«, hörte ich Anne rufen, und Bernhard, der sagte: »Es ist nur halb so schlimm, wie es aussieht. Ein einfacher Bruch! Nur für den Anfang. Die Trümmerbrüche hebe ich mir für später auf. Klar so weit, Jo? Oder brauchst du noch ein wenig Nachhilfe?«
»Nee, alles klar«, hörte ich Jo krächzen. Immerhin lebte er noch.
»Ist das ein Freund von Ihnen?«, erkundigte sich Paschulke. »Wenn ja, tut es mir Leid, dass ich ihn so hart angefasst habe. Ein paar Schläge in den Magen, einen Tritt in die Nieren, und die Nase hat der Bernhard ihm selber gebrochen. Das lässt er sich nie nehmen, der Bernhard. Er mag das Geräusch, das der Knochen macht. Aber meistens flennen die Leute viel zu laut, als dass man was hören könnte. Nicht schön, oder?«
»Nein«, piepste ich.
»Nee, keine Sorge, dem geht's gut, da haben wir schon ganz andere Fälle gehabt. Was meinen Sie, wie der
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