Die Pellinor Saga Bd. 1 - Die Gabe
stellte er eine ausdruckslose, beflissene und ein wenig dümmliche Miene zur Schau. »Aber ich frage mich, Herr: Habt Ihr entlang der Straße Wegelagerer gesehen? Verzeiht, wenn ich das so sage, aber anfangs fürchtete ich, Ihr könntet selber einer sein. Bisher sind wir zwar auf keine gestoßen, nur haben uns andere davor gewarnt.«
»Die Wegelagerer wurden beseitigt«, gab der Untote zurück. »Sie hatten sich zu einem Ärgernis entwickelt.«
»Tja, das sind ja gute Neuigkeiten, o ja«, freute sich Cadvan. Eine kurze Pause entstand. »Nun denn, wir haben noch ein Stück des Weges vor uns. Damit trieb er Darsor in Bewegung. »Schönen Tag noch, Herr.«
Langsam, zögerlich bewegte der Untote sich beiseite, um sie vorbeizulassen. Maerad ließ den Kopf hängen, folgte Cadvan und versuchte, an so wenig wie möglich zu denken. Allerdings vermochte sie das Zittern ihrer Hände nicht gänzlich zu unterbinden. Als sie auf gleiche Höhe mit dem Untoten gelangte, hob dieser plötzlich den Kopf an, zischte, als wollte er etwas sagen, und starrte sie unverwandt an. Sie spürte, wie er ihren Geist abtastete, als glitten ekelhafte Greifarme über sie, und ihr stockte der Atem. Ohne nachzudenken, warf sie sich nach vorn über den Sattelknauf und stieß einen schrillen, durchdringenden Schrei aus, wie sie ihn einst von einer geisteskranken Frau in Gilmans Feste gehört hatte. Sie füllte ihren Verstand mit albtraumhaften Bildern einer riesigen Spinne, dann mit jenen einer vielköpfigen Schlange, woraufhin der tastende Untote sich jäh und angewidert zurückzog.
»Aber, aber, Marta, reg dich nicht so auf«, beruhigte Cadvan sie. »Verzeiht Ihr, Herr, verzeiht Ihr«, sagte er zum Untoten. »Das ist der Wahnsinn, sie hat manchmal solche Anfälle …«
Der Untote spuckte zu Boden, gab seinem Ross die Sporen und preschte los, wobei er gegen Darsor stieß. Das schwarze Pferd scheute und warf Cadvan beinahe ab. Maerad heulte weiter, bis die Hufgeräusche in der Ferne verhallten, erst dann verstummte sie und hickste ein paar Mal, um der Glaubwürdigkeit Nachdruck zu verleihen. Sie schaute zu Cadvan auf, der den Zeigefinger an die Lippen legte, um ihr zu bedeuten, still zu sein. Eine Stunde ritten sie in derselben langsamen Schrittgeschwindigkeit weiter, ehe sie etwas zueinander zu sagen wagten.
»Das war knapp«, stellte Cadvan gedehnt fest. »Dem Licht sei Dank für deine Geistesgegenwärtigkeit, Maerad. Einen Lidschlag lang dachte ich, wir wären verloren. Er konnte dich spüren.«
Maerad war immer noch übel, als wäre sie irgendwie vergiftet worden. »Er hat versucht, in mir zu lesen«, sagte sie zittrig. »Also ließ ich mich einfach in Panik geraten und an Ungeheuer denken. Es war grauenhaft.«
»Du bist nicht annähernd so zerbrechlich, wie du aussiehst. Es ist besser, schwach zu wirken, als schwach zu sein.« Cadvan grinste verschmitzt, und Maerad lächelte matt zurück. Allmählich ließ ihre Übelkeit nach. »Selbst in diesen Tagen ist es selten, dass Untote am helllichten Tage unverhohlen durch Annar reiten«, dachte Cadvan laut nach. »Und er kam aus Ettinor. Vielleicht wurde er ausgeschickt, um Neuigkeiten über uns in Erfahrung zu bringen; vielleicht auch mit einem anderen Auftrag. Ich weiß es nicht. Aber allmählich werden mir einige Dinge klarer.«
»Über Ettinor?«, fragte Maerad.
»Ja«, bestätigte Cadvan grimmig. »Einige meiner Befürchtungen habe ich ja bereits geäußert. Wie es scheint, sind sie nicht unbegründet. Ich bin die letzten Jahre nie in Ettinor gewesen. Bei meinem letzten Besuch gefiel mir der Ort zwar nicht, aber ich konnte keine tätigen bösen Einflüsse spüren. Allerdings können die Dinge sich schnell ändern.« Cadvan schien beunruhigt in Gedanken zu versinken. »Selbst wenn Ettinor zu den verderbten Schulen zählt, kann ich mir kaum vorstellen, dass der Ort mit dem Namenlosen in Verbindung steht und als Zuflucht für Untote dient. Selbst dort gibt es Barden, die sich gegen den Verfall des Weistums in den Schulen gewandt haben und für die Wiederherstellung des Bardentums eintreten.«
Eine Weile ritten sie schweigend weiter. »Der Namenlose muss sich seiner Macht ungemein sicher sein, wenn er sich so nah an den Schoß seiner Feinde wagt«, meinte er schließlich. »Das ist ein sehr schlechtes Zeichen.«
Vierzehntes Kapitel
Der Kulag
Am Nachmittag des nächsten Tages erreichten Cadvan und Maerad den Gau Ettinor. Die Bruchhügel gingen nach und nach in ebenes Land über, auf dem sich
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