Die Pellinor Saga Bd. 1 - Die Gabe
verkniffen. »Vorerst«, räumte er ein. »Die Angreifer sind alle tot.« Er deutete mit dem Kopf auf die schlaffen Haufen auf dem Pfad und wandte angewiderte die Augen davon ab. »Was aus dem Kulag geworden ist, weiß ich nicht. Er verschwand, als er niedergestreckt wurde.«
»Woher kam dieses Ding überhaupt?«
»Einer der Untoten war ein mächtiger Hexer«, antwortete Cadvan. »Keine Ahnung, warum er sich in dieser Gegend herumgetrieben hat. Ich wage nicht, mir auszumalen, was gegenwärtig in der Schule von Ettinor vor sich gehen muss.« Er verzog das Gesicht zu einer Grimasse. »Der Hexer war der letzte Untote, und sobald er meine Macht wahrgenommen hatte, setzte er mir heftig zu. Ich begann schon zu zweifeln, ob ich gegen ihn die Oberhand behalten würde.« Er setzte ab. »Und dann beschwor er einen Kulag herauf. Nur die größten Hexer vermögen solche Kreaturen zu beherrschen; sie stammen aus dem Zeitalter des Ersten Übels, aus den Tagen der Kriege der Elementare. Vor langer Zeit wurden sie in den Abgrund jenseits des Kreises der Welt verbannt. Sie bergen eine Macht in sich, die noch älter ist als die der Finsternis.«
Wieder verstummte Cadvan kurz. »Und was dann geschah, weiß ich nicht. Ich dachte, den Kulag könnte ich vielleicht bezwingen, aber somit wäre immer noch der dritte Untote geblieben. Der schien noch unverringerte Macht zu besitzen, ich hingegen war bereits erschöpft. Jedenfalls fürchtete ich schon, der auf uns zustürzende Kulag würde das Letzte sein, was wir beide sehen. Dann war da plötzlich eine riesige Flamme, und der Kulag krachte vor uns auf den Boden. Die Flamme breitete sich blitzartig nach außen aus und streckte den dritten Untoten samt seinem Pferd nieder. Dann bist du von Imi gerutscht und gefallen. Ich hatte Angst, du wärst tot.«
Verwundert starrte Maerad ihn an. »Habt Ihr die Flamme geschaffen?«, fragte sie ihn. »Sie war nicht mein Werk«, gab er zurück und musterte sie mit einem sonderbaren Blick.
»Dann hat uns vielleicht jemand geholfen, der irgendwoher wusste, dass wir in Schwierigkeiten steckten«, meinte sie. »Aber wer könnte es gewesen sein?« »Ja, wer?«, sagte Cadvan. »Aber eigentlich halte ich es für wahrscheinlicher, dass die Flamme aus dir hervorgebrochen ist, gleichsam als Antwort auf unsere Notlage.« Liebenswürdig lächelte er sie an. »Sie hatte nämlich etwas von deiner Hitzigkeit.« Eine Weile saß Maerad stumm da und rang sowohl mit Erstaunen als auch mit Zweifeln. »Aber ich habe gar nichts gemacht«, erklärte sie schließlich. »Ich hatte einfach Angst.«
»Zweifellos«, erwiderte Cadvan nüchtern. »Ich werde künftig tunlichst darauf achten, dir keine Angst einzujagen! In jedem Geist gibt es geheime Orte, von denen wir wenig wissen, und ich glaube, auf deinen trifft das ganz besonders zu.« Mit ernster Miene betrachtete er Maerads Züge, und sie hatte fast das Gefühl, etwas wie Furcht in seinen Augen aufblitzen zu sehen. Wortlos blickte sie zu Boden, bis Cadvan endlich aufstand und sich umsah. »Wir sollten hier weg, und zwar rasch«, schlug er vor. »Ich weiß nicht, wie viele andere diese Schlacht bemerkt haben könnten und was uns sonst noch hierher folgen mag.«
Auch Maerad raffte sich auf, während Cadvan zu den gefallenen Untoten hinüberging. Maerad musste erst einen Schauder des Grauens überwinden, ehe sie sich dazu durchringen konnte, ihm zu folgen. Die Untoten lagen verrenkt unter ihren schwarzen Mänteln. Cadvan hob den Saum eines der Mäntel mit dem Stiefel an, woraufhin Maerad überrascht die Luft einsog; darunter befanden sich nur kahle Gebeine. Dasselbe Bild offenbarte sich beim zweiten Leichnam. »Wenn Untote sterben, erlischt der Bann, der ihre Körper an diese Welt bindet«, erklärte Cadvan. »Die hier hätten bereits vor vielen Hunderten von Jahren sterben sollen.« Er stand wieder auf und lehnte sich an einen Baum, als wäre ihm übel. Mit purer Willenskraft überwand er sich, erneut auf die Leichname zuzutreten.
Er begab sich zu den Überresten des dritten Untoten, die am weitesten den Pfad hinab entfernt lagen, und hob mit einem Stock den Mantel an. Maerad erblickte den Totenschädel, der sie angrinste, und die Knochen, die auf einem Haufen lagen und sie zusammenzucken ließen; einen Lidschlag lang dachte sie törichterweise, sie wären noch lebendig. Cadvan kniete daneben nieder, ohne die Gebeine zu berühren, und Maerad sah, dass er einen Silberring mit einem schwarzen Stein betrachtete, der noch an
Weitere Kostenlose Bücher