Die Pellinor Saga Bd. 1 - Die Gabe
Die endlosen Braun- und Grautöne versetzten Maerad nach und nach in eine gelangweilte Benommenheit. Regelmäßig plagten sie Krämpfe, und viele Male war sie unendlich dankbar für Silvias Heiltrank und den Medhyl, von dem Cadvan und sie jeden Morgen einen sparsamen Schluck tranken, um die Müdigkeit im Zaum zu halten. Mehr denn je zuvor sehnte sie sich nach einem Bad, wenn sie sich am Ende jeden Tages schaudernd im kalten Wasser des Usk wusch. Nachts lagerten sie ohne Feuer und rollten sich gegen den Frost ein, der heftig hereinbrach, sobald die Sonne unterging. Sie sprachen stets leise miteinander, weil sie das Gefühl hatten, laute Stimmen würden meilenweit über die Hochebene hallen, in der kaum je ein Vogel schrie.
Die Stille wurde mit jedem Tag bedrückender, bis Maerad ernsthaft zu zweifeln begann, ob sie diesen Zustand noch lange ertragen könnte. Immer mehr beschlich sie das Gefühl, sie wären Ameisen, die unter einem endlosen Himmel über eine endlose Ebene einem unvorstellbaren, sinnlosen Ende entgegen krochen.
In ihrer dritten Nacht im Katenmoor gab Cadvan Maerads inständigem Flehen um ein Feuer nach. Es zu entfachen erwies sich im feuchten Wind als schwieriges Unterfangen; das Holz wollte sich einfach nicht entzünden, und begann doch ein Funke zu einer matten Flamme zu erblühen, blies der Wind diese sogleich aus. Nach der vierten solchermaßen erloschenen Flamme wollte Maerad wissen, weshalb er keine Magie einsetzte. Verärgerte gab Cadvan zurück: »Ich weigere mich, das, was du als Magie bezeichnest, nach Lust und Laune einzusetzen wie ein billiger Zauberkünstler, der eine Vorstellung für Kinder gibt. Hast du denn gar nichts von dem verstanden, was ich über das
Verlegen fügte sich Maerad. Letztlich gelang es Cadvan, ein Feuer zum Leben zu erwecken, und zum ersten Mal, seit sie Ettinor verlassen hatten, gab es eine warme Mahlzeit. Anschließend braute Cadvan einen Kräutertee, der Maerad bis zu den Zehen hinab wärmte und einen Teil der Kälte aus ihren Knochen vertrieb.
»Das hier ist ein grausiges Land«, meinte sie. »Ich bezweifle, dass hier jemals jemand gelebt hat. Man würde ja vor Trübsinn eingehen.«
Cadvan sah sie eindringlich an. »Was du spürst, ist der Gram der Erde«, sagte er. »Sie ist schwermütig vor Kummer. Aber obwohl hier niemand leben will, ist sie nicht böse. Ich habe dieses Moor noch nie durchquert, und ich bin wirklich herumgekommen, von Norden bis Süden und über die Berge weit über das Verwaiste Land hinaus. Es heißt, die Toten wandeln hier und suchen auf dem Moor nach ihren verlorenen Brüdern, weshalb sie, von ihrer Seelenqual gefesselt, nicht durch die Tore gelangen können.« Danach erzählte er ihr, dass jenes als Katenmoor bekannte Gebiet einst so bevölkerungsreich und fruchtbar wie Inneil gewesen war. »Damals hieß es Imbral und war ein großes Königreich, das sich über das gesamte nordöstliche Annar erstreckte«, erklärte er. »Es war berühmt für die Zuvorkommenheit und Schönheit seines Volkes, das prächtige Städte aus geweißtem Stein errichtete, mit Bogenhöfen in jedem Haus, wo unter duftenden Bäumen Springbrunnen plätscherten. Fern im Süden, in Suderain, wo Saliman lebt, werden immer noch solche Häuser gebaut. Sie haben wundersam fein gearbeitete Gitterfenster und Türme mit goldenen, silbrigen und bronzenen Kuppeln, auf denen morgens und abends das Sonnenlicht gleißt. Aber im Norden wurde derlei Kunst vor langer Zeit aufgegeben. Dies war einst ein Land saftiger Weiden und überbordender Fruchtbarkeit; an dhyllischen Wein erinnert man sich heute noch in Winzersprichwörtern. Hier haben einst die Dhyllin gelebt, von ihren Türmen aus die Sterne beobachtet, in ihren großen Hallen Lieder geschrieben oder Dinge von großer Schönheit und Macht geschaffen, denn sie frönten allen Künsten der Hände, der Augen und der Ohren - und noch niemand hat je ihre Fertigkeiten übertroffen.«
Maerad ließ den Blick über die trostlosen Hügel schweifen, die sich unter dem sternengesprenkelten Himmel ringsum dunkel erhoben. Im Hohlen Land hatte es noch Anzeichen der Besiedlung vor vielen tausend Jahren gegeben, hier jedoch waren weit und breit keine zu erkennen: weder Ruinen noch verwitterte Steine, deren Beschaffenheit auf die Handschrift der Menschen hinwies. Es gab nicht einmal Erhebungen, die auf eingesunkene Mauerkuppen schließen ließen wie jene, über die sie im Verwaisten Land nahe Gilmans Feste gestolpert war. Cadvans Geschichte
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