Die Pellinor Saga Bd. 1 - Die Gabe
einen Fall arbeitest du für das, worauf du hoffst und woran du tief in deinem Herzen glaubst, im anderen für das, wozu dich jemand anders zwingt.« Da Maerad eine Sklavin gewesen war und sehr wohl wusste, dass ihr gegenwärtiges Leben zwar schwierig, aber doch gänzlich anders war als früher, hatte sie darauf nichts zu entgegnen. Sie wusste gar nicht, weshalb sie es auf einen Streit mit Cadvan anlegte, aber er weigerte sich ohnehin, wütend zu werden. Nach einer Weile zog er sich in sich selbst zurück und starrte ins Feuer. Maerad saß schmollend ein Stück außerhalb des Lichtkegels und trat mit den Zehen gegen einen Erdbrocken. Da Cadvan mit der Wache an der Reihe war, rollte sie sich danach in ihre Decke und schlief überraschend schnell ein.
Der nächste Tag erwies sich als ähnlich fruchtlos, wenngleich das Wetter aufzuklaren begann und sie zumindest ein wenig Sonnenschein wärmte. Imis Lahmen war weniger deutlich, dennoch blieben sie vorsichtig, um die Heilung nicht zu behindern. Nach einer Weile vergaß Maerad im Takt des Reitens ihre trübe Stimmung, doch das Gefühl, beobachtet zu werden, blieb erhalten. Cadvan gegenüber erwähnte sie es nicht, aber sie spürte oft ein Prickeln im Nacken, als wäre jemand hinter ihr; wenn sie sich jedoch jäh umdrehte, war nichts zu sehen. Sie begann beinahe zu glauben, dass die Steine ihr Streiche spielten und sich in Felsungeheuer verwandelten, die sie verfolgten, jedoch sogleich wieder zu unschuldigen Steinblöcken wurden, wenn sie sich nach ihnen umblickte.
Den Usk überquerten sie erst am dritten Tag, dann wandten sie sich endlich gen Süden.
So begannen viele Tage, in denen sie sich schleppend durch die Valerras mühten. Cadvan führte sie anhand der Sonne und der Sterne. Sie beobachteten, wie der Mond schmäler wurde, bis er zur Breite einer Apfelschale schwand, gänzlich ausblieb und allmählich zurückkehrte. Das Wetter wurde beständig wärmer, wenngleich es durchaus bedeckte Tage gab, an denen ihre Reise sich durch kurze Regengüsse unerfreulich gestaltete. Imis Lahmen wurde von Tag zu Tag geringer, dennoch kamen sie nicht viel schnellervoran. Das Gelände ließ keine raschere Gangart zu; der Boden war uneben und mit kleinen Steinen übersät. Daneben gab es zahlreiche heimtückische Löcher, in denen die Pferde sich ein Bein verrenken oder gar brechen konnten, wenn sie unachtsam waren. Das Gras war kümmerlich, voll von Graten und durchsetzt mit Disteln, und überall wuchs eine Kriechpflanze mit kleinen, gräulichen Blättern, die wie verdorbener Fisch stanken. Wenn sie darauf traten, stieg der Moder auf und nistete sich in ihre Kehlen ein, und wenn sie darauflagerten, war es schier unmöglich, den Gestank wieder aus den Kleidern zu bekommen. Häufig stießen sie auf kleine Gruben oder Senken, in denen sich brackiges Wasser und Sumpfpflanzen sammelten. An solchen geschützten Plätzen lagerten sie bei Einbruch der Dunkelheit. Manchmal erspähte Maerad nachts seltsame Lichter in der Ferne, entrückte blaue Schwaden, die schimmerten und verschwanden, ehe sie keck ein Stück entfernt wieder auftauchten.
»Sumpflichter«, klärte Cadvan sie auf. »Beachte sie gar nicht. Und folge ihnen niemals!«
»Warum nicht?«, fragte Maerad neugierig, während sie die Erscheinungen beobachtete. Sie besaßen eine eigenartig fesselnde Wirkung.
»Sie würden dich in einen Morast führen. Oder in noch Schlimmeres. Hier gibt es alte Grabhügel, errichtet von Völkern aus grauer Vorzeit, und nicht alle davon sind leer.« Die Valverras höhlte die Seele auf eine andere Weise aus als das Katenmoor, fand Maerad. Im Katenmoor herrschte Verzweiflung vor, ein endloses Wehklagen. Die Valverras fühlte sich sonderbar feindselig an, und obwohl Maerad nie etwas Bedrohliches sah, wurde sie umso zappeliger, je weiter sie zogen. Allmählich bekam sie einen wunden Hals, weil sie ständig über die Schulter blickte.
Cadvan nahm Maerads Unterricht wieder auf, vorwiegend, um sie abzulenken. Ihre Instrumente allerdings holten sie nicht hervor. Die bedrückende Stille ringsum schien Musik zu verbieten. Cadvan setzte auch ihre Ausbildung mit dem Schwert fort. Dabei stellte er sich als weniger harscher Lehrer als Indik heraus. Er meinte, sie sei eine gelehrige Schülerin; sie war flink, und ihre Genauigkeit und ihr Geschick wuchsen in Einklang mit ihrem Selbstvertrauen, bis es ihr eines Tages zu seiner Freude gelang, ihn zu entwaffnen.
»Du kämpfst zwar nicht besonders anmutig, aber du bist
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